Search for:

 „Briefwahl für alle“ – was gerade in Zeiten von Corona besonders verlockend klingt, ist in der betriebsverfassungsrechtlichen Praxis weiterhin an strenge Voraussetzungen geknüpft. Eine Reform der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz in jüngster Vergangenheit sollte Betriebsratswahlen erleichtern. Im Frühjahr 2022 stehen nun die nächsten Betriebsratswahlen an. Was ist zu beachten?

Lt. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat deutschlandweit nur knapp jeder zehnte betriebsratsfähige Betrieb einen Betriebsrat gebildet. Dem wollte der Gesetzgeber durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz entgegentreten.

Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war es, die Gründung und die Wahl von Betriebsräten zu erleichtern. Dies sollte dem aktuellen Trend entgegenwirken, dass es immer weniger Betriebsratsgremien in Deutschland gibt. Zudem wurde die Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes, die Wahlordnung (WO), angepasst.

Die neue Wahlordnung ist seit dem 15. Oktober 2021 in Kraft. Hierin setzte der Gesetzgeber primär Änderungen um, die das Betriebsrätemodernisierungsgesetz erforderte.

Eine der umgesetzten Maßnahmen, die Betriebsratswahlen zu erleichtern: gelockerte Voraussetzungen zur schriftlichen Stimmabgabe. Doch werden die Änderungen das Wahlverfahren tatsächlich erleichtern? Und wie verhält es sich mit Online-Betriebsratswahlen?

Schriftliche Stimmabgabe nur ausnahmsweise möglich

Lt. Gesetzgeber sollen Wahlen des Betriebsrats auch weiterhin in Präsenz stattfinden (zu beachtende Schritte s. Blogbeitrag „Wahlverfahren – Betriebsratswahlen 2022„).

Die Voraussetzungen für eine schriftliche Stimmabgabe, die sog. Briefwahl, regelt § 24 der Wahlordnung (WO). Diese Vorschrift sieht eine Briefwahl nur in drei Fällen vor:

  • Können wahlberechtigte Arbeitnehmer am Tag der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb, z.B. wegen Urlaub,  ihre Stimme nicht persönlich abgeben, können sie beim Wahlvorstand Briefwahl beantragen.
  • Weiß der Wahlvorstand bereits, dass bestimmte Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Wahl wegen der Eigenart ihrer Beschäftigung vorauss. nicht im Betrieb sein werden, z.B. Außendienstmitarbeiter, Leiharbeitnehmer im Fremdfirmeneinsatz oder Beschäftigte im Homeoffice, muss er diesen Arbeitnehmern die Briefwahlunterlagen auch ohne deren Antrag zuschicken.

Gleiches gilt nun nach der geänderten Wahlordnung, wenn der Wahlvorstand weiß, dass Arbeitnehmer in der Zeit vom Erlass des Wahlausschreibens bis zum Zeitpunkt der Wahl durchgehend aus anderen Gründen vorauss. nicht im Betrieb sein werden. „Andere Gründe“ sind v.a. das Ruhen des Arbeitsverhältnisses,z.B. wegen Elternzeit, Mutterschutzzeiten, Pflegezeit oder unbezahltem Sonderurlaub, oder eine Arbeitsunfähigkeit des Wahlberechtigten. Es reicht nicht aus, dass der Wahlberechtigte den Wunsch äußert, per Briefwahl zu wählen.

  • Gibt es Betriebsteile oder Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, kann der Wahlvorstand für diese Einheiten die schriftliche Stimmabgabe beschließen.

Der Wahlvorstand kann nicht generell Briefwahl anordnen. Daran änderte auch die Novellierung der Wahlordnung nichts.

Wahl in Zeiten der Pandemie

Für die Wahl in Zeiten der Pandemie bedeutet das: Von Amts wegen darf der Wahlvorstand die Briefwahlunterlagen nur dann zuschicken, wenn die wahlberechtigten Arbeitnehmer in Kurzarbeit Null sind, dauerhaft im Homeoffice arbeiten oder Gründe vorliegen, weshalb sie im gesamten Zeitraum zwischen Erlass des Wahlausschreibens und Wahl nicht im Betrieb anwesend sein werden.

Sind Wahlberechtigte wegen Kurzarbeit nur am Tag der Wahl abwesend, müssen diese die Briefwahl beim Wahlvorstand beantragen. Gleiches gilt für (nicht langfristige) Krankheit, Quarantäne oder wenn wahlberechtigte Arbeitnehmer abwesend sind, weil sie wegen Schul- oder Kita-Schließungen ihre Kinder Zuhause betreuen müssen.

Um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen, sollte der Wahlvorstand daher darauf hinweisen, dass die Briefwahl möglich ist.

Wichtig: Selbst wenn alle Arbeitnehmer Briefwahl beantragen würden, müsste es am Wahltag ein Wahllokal geben. Denn jeder Wahlberechtigte darf sich noch kurzfristig anders entscheiden und persönlich wählen gehen.

Briefwahlunterlagen

Dürfen Arbeitnehmer schriftlich ihre Stimme abgeben, muss der Wahlvorstand ihnen folgende Unterlagen aushändigen oder übersenden:

– das Wahlausschreiben,

– die Vorschlagslisten,

– den Stimmzettel und den Wahlumschlag,

– eine vorgedruckte von der Wählerin oder dem Wähler abzugebende Erklärung, in der sie/er gegenüber dem Wahlvorstand versichern muss, dass der Stimmzettel persönlich gekennzeichnet wurde, sowie

– einen größeren Freiumschlag, der die Anschrift des Wahlvorstands und als Absender den Namen und die Anschrift der oder des Wahlberechtigten sowie den Vermerk „Schriftliche Stimmabgabe“ trägt.

Diese Unterlagen sind an die Privatadresse der Mitarbeiter zu versenden. Hierfür hat der Wahlvorstand einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber.

Verfahren bei Stimmabgabe

Der Briefwahlberechtigte soll den Stimmzettel unbeobachtet persönlich kennzeichnen und so falten und in dem Wahlumschlag verschließen, dass die Stimmabgabe erst zu erkennen ist, wenn man den Stimmzettel auseinanderfaltet. Zusätzlich muss er die vorgedruckte Erklärung unter Angabe des Orts und des Datums unterschreiben und anschließend den Wahlumschlag inkl. unterschriebener Erklärung im Freiumschlag verschließen.

Er muss den Freiumschlag rechtzeitig an den Wahlvorstand übermitteln, sodass er diesem vor Abschluss der Stimmabgabe vorliegt.

Mehr Rechtssicherheit

Nach den Neuregelungen der Wahlordnung darf der Wahlvorstand mit Öffnung der eingegangenen Freiumschläge nicht mehr bereits „unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe“, sondern erst zu Beginn der öffentlichen Sitzung zur Stimmauszählung beginnen.

Das ist zu begrüßen. Denn dadurch beseitigte der Gesetzgeber die Rechtsunsicherheiten, wann genau die Freiumschläge geöffnet werden dürfen. Wenn die schriftliche Stimmabgabe ordnungsgemäß erfolgt ist, vermerkt der Wahlvorstand die Stimmabgabe und legt den verschlossenen Wahlumschlag in die Wahlurne.

Online-Betriebsratswahlen

Eine Online-Wahl zum Betriebsrat ist auch weiterhin nicht mit dem Betriebsverfassungsgesetz und der Wahlordnung zu vereinbaren. Dass eine virtuelle Stimmabgabe möglich ist, erwähnt keine der Vorschriften. Auch wenn die technischen Voraussetzungen hierfür gegeben sind: Der Gesetzgeber verbietet virtuelle Betriebsratswahlen weiterhin.

Zu einem anderen Ergebnis kommt man auch nicht, wenn man das Gesetz kreativ auslegt. Das wurde erst kürzlich durch die Rechtsprechung bestätigt. Das LAG Hamburg (Beschluss vom 15. Februar 2018 – 8 TaBV 5/17) hob zwar eine in erster Instanz ergangene Entscheidung auf, die eine online durchgeführte Betriebsratswahl für nichtig erklärte. Doch das LAG Hamburg stellte auch  fest, dass eine Online-Wahl zum Betriebsrat nicht mit wesentlichen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes vereinbar ist. Die Betriebsratswahl war somit anfechtbar (vgl. zur Unterscheidung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl den Blogbeitrag „Betriebsratswahl: Wahlanfechtung – Umgang mit Fehlern“).

Wahlvorstände müssen gesetzliche Vorgaben einhalten

Auch nach den Neuregelungen des Betriebsverfassungsgesetzes und der Wahlordnung bleibt es dabei: Betriebsratswahlen sind in Präsenz durchzuführen. Briefwahlen sind daneben zulässig, doch auf Ausnahmefälle beschränkt. Den Schritt hin zu Online-Betriebsratswahlen hat der Gesetzgeber weiterhin nicht gewagt. Somit gibt es keine wesentliche Erleichterung der Wahl des Betriebsrats.

Wird eine Betriebsratswahl dennoch als reine Briefwahl oder gar als Online-Wahl durchgeführt, besteht das Risiko, dass sie anfechtbar ist. Wahlvorstände sollten die gesetzlichen Vorgaben daher einhalten und genau prüfen, an welche Arbeitnehmer Briefwahlunterlagen versendet werden müssen und dürfen.

Author

Katja Häferer ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Author

Lena Kern ist Counsel bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Author

Benjamin Durst ist Associate bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern