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Besonders während der Corona-Pandemie gewannen digitale Plattformarbeit und der Einsatz technischer Hilfsmittel in der Arbeitswelt zunehmend an Beliebtheit. Auch künftig werden sie eine bedeutende Rolle spielen. Welche neuen rechtlichen Herausforderungen bringt der digitale Wandel mit sich? Was müssen Unternehmen beim Einsatz von Solo-Selbstständigen beachten?

Wie sieht der Einsatz digitaler Plattformen und KI in der Arbeitswelt aus?

Die Digitalisierung macht auch vor der Arbeitswelt nicht Halt. Sie entwickelt sich laufend fort und wirkt sich damit auch auf bestehende Arbeitsorganisationen aus. Gleichzeitig schafft sie völlig neue Geschäftsmodelle und Beschäftigungsmöglichkeiten.

Jeder kennt sie: Digitale Plattformen wie Uber, Lieferando oder Helpling. Diese bieten Kurier- oder Fahrdienste, Handwerkstätigkeiten oder auch Tätigkeiten im Bereich IT oder Webdesign an. Diese Dienstleister verteilen Kleinaufträge (sog. „Mikrojobs“) über den Plattformbetreiber an Solo-Selbstständige.

Die Solo-Selbstständigen bezeichnet man oft auch als „Crowdworker“ oder „Gigworker“. Allein in Deutschland sind Schätzungen zufolge mittlerweile ca. 3 Millionen Solo-Selbständige über solche digitalen Plattformen tätig – Tendenz steigend. Bei der Plattformarbeit bedienen sich Plattformbetreiber bestimmter Algorithmen. Mit Hilfe derer kann man die Plattformarbeit effizient organisieren und verwalten. Es handelt sich um Systeme der algorithmischen Entscheidungsfindung, also Künstliche Intelligenz („KI“).

Vorteile beim Einsatz von Beschäftigten über digitale Plattformen

Durch den Einsatz von Solo-Selbstständigen über digitale Plattformen kann der Plattformbetreiber Aufgaben an mehrere Personen gleichzeitig verteilen. Dies können z.B. arbeitsintensive Aufgaben sein, wie die Entwicklung oder Bearbeitung eines Projekts. Aber auch kleinere Aufträge, wie beispielsweise Kurierfahrten oder das Sammeln von Daten, gehören hierzu.

Der Solo-Selbstständige wird als freier Mitarbeiter beschäftigt. Ein Arbeitsverhältnis mit dem Solo-Selbstständigen ist nicht gewollt. Der Einsatz freier Mitarbeiter hat nämlich den Vorteil, dass arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen für das Auftragsverhältnis nicht gelten. Freie Mitarbeiter haben keinen Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz. Im Falle der Arbeitsunfähigkeit ist keine Entgeltfortzahlung zu leisten. Zudem gilt das Mindestlohngesetz hier nicht. Gezahlt wird nur für die tatsächlich verrichtete Arbeit. Hierdurch entfallen für Plattformbetreiber viele Kosten. Auch der arbeitsrechtliche Kündigungsschutz gilt nicht. Verträge mit freien Mitarbeitern sind jederzeit nach §§ 620, 621 BGB ordentlich innerhalb der dort aufgeführten, deutlich kürzeren Fristen kündbar.

Risiken beim Einsatz von Beschäftigten über digitale Plattformen

Allerdings birgt die Beschäftigung der Solo-Selbstständigen für die Plattformbetreiber das Risiko einer Scheinselbstständigkeit. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass ein vermeintlich freier Mitarbeiter nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls tatsächlich Arbeitgeber ist, kann das erhebliche finanzielle und rechtliche Folgen für den Plattformbetreiber haben: Der Solo-Selbstständige kommt dann in den Genuss arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen. Sozialversicherungsbeiträge müssen nachbezahlt werden, Bußgelder und Gefängnisstrafen können verhängt werden.

Das Bundesarbeitsgericht entschied in einem Grundsatzurteil vom 1.12.2020 – 9 AZR 102/20 : Ein Solo-Selbstständiger kann durchaus Arbeitnehmer sein kann. Das ist der Fall, wenn dieser zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet ist, die geschuldete Tätigkeit ihrer Eigenart nach einfach gelagert ist und ihre Durchführungen inhaltlich vorgegeben sind sowie die Auftragsvergabe und die konkrete Nutzung der Online-Plattform i.S.e. Fremdbestimmens durch den Plattformbetreiber gelenkt wird.

Dieses Urteil hat große Auswirkungen auf die Plattformarbeit. Gleichzeitig geht es mit Unsicherheiten für Plattformbetreiber in Bezug auf den Arbeitnehmerstatus der eigenen Beschäftigten einher.

Ist mit einer gesetzlichen Klärung durch die neue Regierung zu rechnen?

Auf S. 72 des Koalitionsvertrags zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP heißt es unter „Digitale Plattformen“ wie folgt:

„Digitale Plattformen sind eine Bereicherung für die Arbeitswelt, deswegen sind gute und faire Arbeitsbedingungen wichtig. In diesem Sinne überprüfen wir bestehendes Recht und verbessern die Datengrundlagen. Dazu führen wir den Dialog mit Plattformanbietern, -arbeitern, Selbstständigen sowie Sozialpartner. Die Initiative der EU-Kommission zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf Plattformen begleiten wir konstruktiv. Bei der Gestaltung von KI in der Arbeitswelt setzen wir auf einen menschenzentrierten Ansatz, soziale und wirtschaftliche Innovation ebenso wie Gemeinwohlorientierung. Wir unterstützen den risikobasierten EU-Ansatz.“

Doch was bedeutet das für die Praxis?

Für Unternehmen mag es zunächst erfreulich sein, dass das Koalitionspapier keinen konkreten Regelungsbedarf für digitale Plattformen und KI in der Arbeitswelt vorsieht. Doch die Unsicherheiten in Bezug auf die Feststellung des Beschäftigtenstatus bleiben. Das Koalitionspapier verweist nur auf die Initiative der EU-Kommission zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf Plattformen und den risikobasierten EU-Ansatz in Bezug auf KI in der Arbeitswelt:

Die EU-Kommission hatte am 9. Dezember 2021 einen Richtlinienvorschlag veröffentlicht. Dieser soll Scheinselbstständigkeit verhindern. Die Kommission hat u.a. eine Liste mit Kriterien aufgestellt. Diese soll bei der Feststellung, ob ein Plattformbetreiber tatsächlich Arbeitgeber ist, unterstützen.

Sind zwei der Kriterien erfüllt, wird ein Arbeitsverhältnis vermutet. Der Plattformbetreiber muss in diesem Fall das Gegenteil beweisen („Beweislastumkehr“). Gleichzeitig sollen Solo-Selbstständige mehr Einblick in den Algorithmus der Plattform erhalten. Bei dem Einsatz von Algorithmen für die Plattformarbeit verfolgt die EU einen sog. risikobasierten Ansatz. Der Vorschlag der EU-Kommission unterteilt KI-Systeme dabei in verschiedene Kategorien. Je nach Einstufung unterliegen diese besonderen Standards und Auflagen. Anwendungen, die z.B. ein „unannehmbares Risiko“ darstellen, werden verboten.

Regelungsbedarf für digitale Plattformen

Die neue Regierung sieht noch keinen Regelungsbedarf in Hinblick auf digitale Plattformen. Dies wird letztlich jedoch nur eine Frage der Zeit sein.

Sobald die EU-Kommission den Richtlinienvorschlag verabschiedet hat, müssen die einzelnen Nationen diesen binnen zweier Jahre auf nationaler Ebene umsetzen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatte bereits im November 2020 Eckpunkte für „Faire Arbeit in der Plattformökonomie“ veröffentlicht: So will das Bundesministerium u.a. eine Beweisverlagerung bei Prozessen zur Klärung des Arbeitnehmerstatus einführen. Wir rechnen daher mit einer gesetzlichen Klärung in den kommenden Jahren.

Bis dahin können Unternehmen allerdings weiterhin den Status ihrer Beschäftigten mit Hilfe des Statusfeststellungsverfahrens der Deutschen Rentenversicherung ermitteln. Zum 1. April 2022 tritt die Reform des Statusfeststellungsverfahrens (§ 7a SGB IV n.F.) in Kraft. Hierdurch können Unternehmen den Status der Erwerbstätigen schneller und einfacher feststellen.

Nach der Reform sind auch Gruppenfeststellungsverfahren bei gleichgelagerten Tätigkeiten, Prognoseentscheidungen und die Ermittlung des Erwerbsstatus im Dreiecksverhältnis möglich. Allerdings ändert sich an der materiellen Abgrenzung von Beschäftigung und Selbständigkeit durch die Reform nichts. Da zu erwarten ist, dass sich die Rechtslage verschärft, sollten Unternehmen bis auf weiteres Geschäftsmodelle eher nicht auf den Einsatz freier Mitarbeiter aufbauen.

Author

Steffen Scheuer ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Author

Franziska Klippstein ist Associate bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern