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Die EU-Mitgliedsstaaten müssen die Whistleblower-Richtlinie bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umsetzen. Die sog. Whistleblower-Richtlinie trat im Dezember 2019 in Kraft. Danach sollen Hinweisgeber, die einen Missstand in Unternehmen oder Behörden aufdecken, unionsweit umfassend geschützt sein. Ein Überblick.

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz reichte hierzu einen Referentenentwurf für ein Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern zur Ressortabstimmung ein („Hinweisgeberschutzgesetz“). Ziel des Entwurfs: Man will den bislang lückenhaften und unzureichenden Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien und Benachteiligungen ausbauen und nachhaltig verbessern.

Der Entwurf regelt die Einrichtung und das Verfahren interner und externer Meldewege sowie den Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien wie Kündigung oder sonstigen Benachteiligungen.

Für wen gilt das Gesetz?

Der Entwurf erfasst alle Unternehmen mit Beschäftigten in Deutschland. Unternehmen mit mind. 50 Beschäftigten und Finanzdienstleister müssen interne Meldestellen einrichten.

Das Gesetz soll für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Personen gelten. Es erfasst ebenfalls Personen, deren Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet wurde oder noch nicht begonnen hat.

Was können Hinweisgeber melden?

Nach aktueller Entwurfsfassung (nachfolgend „HinSchG-E„) soll das Gesetz für Verstöße gegen nationales Recht sowie bestimmtes EU-Recht und dessen nationale Umsetzung gelten. Das geht zum Teil über die Richtlinienvorgabe hinaus:

  1. Nationales Recht in diesem Sinn meint sämtliche Regelungen des Bundes oder der Länder, die straf- oder bußgeldbewehrt sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG-E). Das gilt bspw. für Regelungen des Arbeitszeitgesetzes (§ 22, 23 ArbZG), Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (§ 16 AÜG) und Arbeitnehmerentsendegesetzes (§ 23 AEntG). Dies geht über die Richtlinienvorgabe hinaus, die sich auf Meldungen über Verstöße gegen Unionsrecht und nationale Umsetzungsakte beschränkt (siehe unter b.).
  2. Unionsrecht und dessen nationale Umsetzung meint bestimmte, in § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 des Entwurfs abschließend aufgezählte Rechtsakte (bspw. auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge, des Umweltschutzes, der Verkehrssicherheit, des Verbraucherschutzes und des Datenschutzes).
  3.  Unter Verstößen gegen diese Regelungen versteht der Gesetzesentwurf in Anknüpfung an die Whistleblower-Richtlinie nicht nur rechtswidriges Verhalten. Er umfasst auch Rechtsmissbrauch und damit Handlungen sowie Unterlassungen, die formal rechtmäßig sind, jedoch dem Ziel oder Zweck der Regelungen zuwiderlaufen (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 HinSchG-E).

Interne Meldestellen – welche Unternehmen sind erfasst?

Die Pflicht zur Einrichtung einer internen Meldestelle gilt für Unternehmen mit mind. 50 Beschäftigten (§ 12 Abs. 2 HinSchG- E). Das steht im Einklang mit den Vorgaben der Whistleblower-Richtlinie. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch Auszubildende sowie arbeitnehmerähnliche Personen sind mitzuzählen.

Für Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten gilt eine zweijährige Übergangsfrist, bis die Einrichtung einer Meldestelle verpflichtend ist (§ 41 HinSchG-E). Für größere Unternehmen mit 250 oder mehr Beschäftigten soll diese Pflicht bereits gelten, wenn das Gesetzt in Kraft tritt.

Finanzdienstleister müssen unabhängig von der Zahl ihrer Beschäftigten interne Meldestellen einrichten (§ 12 Abs. 3 HinSchG-E mwA).

Interne Meldestellen – was ist zu beachten?

Interne Meldestellen sind Ansprechpartner für Hinweisgeber im Unternehmen. Sie nehmen Informationen über Verstöße gegen nationales Recht oder Unionsrecht entgegen. Diese können mündlich, schriftlich oder in einem persönlichen Gespräch erfolgen (§ 16 Abs. 3 HinSchG-E).

Im zweiten Schritt prüfen Meldestellen, ob die Hinweise stichhaltig sind und veranlassen sog. Folgemaßnahmen (§ 13 HinSchG-E), z.B. interne Untersuchungen. Zu den möglichen Folgemaßnahmen zählen auch der Abschluss des Verfahrens (bspw. aus Mangel an Beweisen oder anderen Gründen) und die Abgabe des Verfahrens an eine zuständige Behörde (§ 18 HinSchG-E).

Hinweisgeber erhalten eine Bestätigung über den Eingang ihrer Meldung und über die getroffenen Folgemaßnahmen sowie die Gründe hierfür (§ 17 HinSchG-E).

Interne Meldestellen können innerhalb des Unternehmens eingerichtet und mit Unternehmensangehörigen besetzt werden. Aber auch externe Dienstleister können diese Aufgaben wahrnehmen. Sie nehmen dann die Meldungen für das Unternehmen entgegen und bearbeiten sie. Auch eine gemeinsame Meldestelle mehrerer Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten ist möglich (§ 14 HinSchG-E).

Der Referentenentwurf sieht keine Sanktionen vor, wenn Unternehmen keine Meldestelle einrichten. Eine mittelbare Sanktion resultiert allerdings daraus, dass sich Hinweisgeber ohne die Möglichkeit eines internen Meldewegs ggf. bereits im ersten Schritt an externe Stellen wenden.

Rechte der Hinweisgeber – kein Vorrang interner vor externer Meldungen

Hinweisgeber haben ein Wahlrecht, ob sie Verstöße intern melden oder sich an eine externe Meldestelle wenden (§ 7 HinSchG-E). Letztere soll beim Bundesdatenschutzbeauftragten eingerichtet werden. Bei Verstößen gegen das Finanzrecht soll die Bundesanstalt für Finanzdienstaufsicht („BaFin“) als externe Meldestelle fungieren.

In Ausnahmefällen sollen sich potentielle Hinweisgeber zudem direkt an die Öffentlichkeit wenden können, z.B. über soziale Netzwerke oder die Medien.

Dieser Meldeweg soll jedoch nur dann geschützt sein, wenn:

  • eine externe Meldung erfolgt ist, der Hinweisgeber jedoch innerhalb angemessener Zeit keine Rückmeldung zu Folgemaßnahmen erhalten hat, oder
  • eine externe und/oder interne Meldung ausnahmsweise unterbleiben konnte.

Letzteres setzt voraus, dass der Hinweisgeber „hinreichenden Grund zu der Annahme“ hatte, dass eine „unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses“ besteht, oder Repressalien zu befürchten hatte, wenn eine externe Meldung erfolgt. Ebenso erfasst sind Fälle, in denen die Aussichten gering sind, dass eine externe Meldestelle Folgemaßnahmen ergreifen würde (§ 31 HinSchG-E).

Schutz der Hinweisgeber – Verbot von Repressalien

Hinweisgebern dürfen wegen der Meldung von Missständen keine Repressalien drohen, wie z.B. Kündigung, Versagung einer Beförderung, geänderte Aufgabenübertragung oder Disziplinarmaßnahmen. Um diesen Schutz zu gewährleisten, soll eine Beweislastumkehr eintreten.

Danach müssen Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass eine arbeitsrechtliche Maßnahme nicht mit der Meldung eines Missstands in Verbindung steht (§ 35 Abs. 2 HinSchG-E). Dieser Schutz kann weder vertraglich abbedungen noch mit belastenden Regelungen im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag ausgestaltet werden. Bei einem Verstoß gegen das Verbot von Repressalien haben Hinweisgeber Anspruch auf Schadensersatz (§ 36 Abs. 1 HinSchG-E).

Hinweisgeber genießen diesen Schutz jedoch nur dann, wenn die gemeldeten Informationen der Wahrheit entsprechen. Andernfalls sind Hinweisgeber nur dann geschützt, wenn sie zum Zeitpunkt der Meldung hinreichenden Grund zur Annahme hatten, dass dies der Fall ist (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E).

Dafür müssen tatsächliche Verdachtsmomente vorliegen. Reine Spekulationen reichen nicht aus. Der Referentenentwurf betont gleichwohl: An die Sorgfalt der hinweisgebenden Person darf man, was die Überprüfung des Wahrheitsgehalts ihrer Meldung betrifft, keine überhöhten Anforderungen stellen.

Auch Personen sollen geschützt werden, denen bei der Bewertung und Einschätzung des Sachverhalts Fehler unterlaufen und die daher unwissend falsche Informationen melden. Personen, die missbräuchlich oder böswillig falsche Informationen melden, soll der HinSchG-E nicht schützen.

Whistleblower-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte („EGMR“)

Bemerkenswert i.Z.m. Whistleblowing ist die Entscheidung des EGMR vom 16. Februar 2021. Diese erging unabhängig von der Whistleblower-Richtlinie. Das Gericht entschied über einen Hinweisgeber, der während seiner Tätigkeit als Arzt auf Hinweise gestoßen war, dass mehrere Patienten infolge einer Morphingabe verstorben waren. Er hatte den Verdacht, dass es sich bei den Todesfällen um aktive Sterbehilfe handelte und zeigte den behandelnden Arzt bei der zuständigen Staatsanwaltschaft an.

Der behandelnde Arzt hatte sich nicht darum bemüht, den Sachverhalt intern aufzuklären. Es kam zu einem Ermittlungsverfahren gegen den behandelnden Arzt, das jedoch im selben Jahr eingestellt wurde. Das Krankenhaus kündigte dem Hinweisgeber daraufhin fristlos. Die Klage des Hinweisgebers gegen die Kündigung blieb in allen Instanzen erfolglos.

Der EGMR prüfte die Kündigung im Lichte der Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK und erklärte sie für rechtmäßig. Nach Auffassung des EGMR hätte sich der Hinweisgeber zunächst um weitere interne Aufklärung bemühen müssen. Er habe nicht alle ihm zumutbaren und möglichen Versuche unternommen, zu prüfen, ob die Verdachtsmomente „zutreffend und zuverlässig“ seien.

Der EGMR konstatiert damit eine Prüfungspflicht für Hinweisgeber, die die Whistleblower-Richtlinie und der Referentenentwurf so nicht vorsehen. Danach sind Hinweisgeber bereits dann geschützt, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte gibt, dass die gemeldete Information der Wahrheit entspricht. Es ist abzuwarten, wie das künftige Hinweisgeberschutzgesetz vor dem Hintergrund der Entscheidung des EGMR auszulegen sein wird.

Unternehmen sollten sich auf gesetzliche Neuerungen vorbereiten

Die Vorlage des Referentenentwurfs eines Hinweisgeberschutzgesetzes durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz stieß den Umsetzungsprozess der Whistleblower-Richtlinie in Deutschland an. Das Gesetzgebungsverfahren wird voraussichtlich innerhalb der nächsten Monate abgeschlossen und das förmliche Hinweisgeberschutzgesetz wird in Kraft treten.

Betroffenen Unternehmen sollten sich zeitnah damit auseinandersetzen, interne Meldekanäle einzurichten oder diese kritisch zu prüfen und ggf. vorhandene Hinweisgebersysteme anzupassen. So können sie sich bestmöglich auf die gesetzlichen Neuerungen ab Dezember 2021 vorbereiten. Das gilt auch für die vielen datenschutzrechtlichen Fragen, die bereits die Whistleblower-Richtlinie aufgeworfen hat und die sich im Referentenentwurf fortsetzen.

Author

Carina Lencz ist Associate bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Author

Katja Häferer ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern