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Die EU führte mit der Corporate Social Responsibility-Richtlinie bereits 2014 zwingende Berichtspflichten für Unternehmen ein. Auch Schweizer Konzerne dürften mit der Konzernverantwortungsinitiative bald verpflichtende Bestimmungen zur unternehmerischen Sozialverantwortung beachten müssen.

Schon seit längerer Zeit diskutiert man unter dem Begriff Corporate Social Responsibility (CSR) – bzw. neuerdings Environmental and Social Governance (ESG) – gesellschaftliche und ökologische Dimensionen von Unternehmensaktivitäten. Die Unternehmensmaßnahmen bestanden bisher jedoch vorwiegend aus Selbstverpflichtungen und freiwilligen Initiativen.

EU-weit sehen sich die Staaten allerdings immer mehr in der Verantwortung und erlassen ergänzende gesetzliche Vorschriften (für eine allg. Übersicht, v.a. zu Deutschland, siehe Kompass). Diese Entwicklung lässt sich auch in der Schweiz beobachten.

UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzen

Die Schweiz verabschiedete 2016 einen Bericht mit einem nationalen Aktionsplan (NAP) für die Umsetzung von zwei der drei Leitprinzipien der Vereinten Nationen (UNO) für Wirtschaft und Menschenrechte. Damit gehörte die Schweiz zu den ersten Ländern mit einer solchen Strategie.

Mit 50 Maßnahmen möchte das Land die UNO-Leitprinzipien bis Juli 2020 umsetzen, die die staatliche Schutzpflicht und den Zugang zu wirksamer Abhilfe betreffen.

Fast gleichzeitig mit der Veröffentlichung des NAP wurde in der Schweiz im Oktober 2016 die Volksinitiative „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“ (sog. Konzernverantwortungsinitiative) eingereicht.

Ursprüngliche Konzernverantwortungsinitiative

Die Initiative verlangt vom Bund Maßnahmen, die die Respektierung der Menschenrechte und der Umwelt durch die Wirtschaft stärken und vor allem Schweizer Unternehmen verpflichten,

  • international anerkannte Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten;
  • zu prüfen, ob durch Tätigkeiten im Ausland Menschenrechte und Umweltstandards verletzt werden und die Auswirkungen durch Maßnahmen zu verhüten, zu mindern und zu beenden, sowie über ergriffenen Maßnahmen zu berichten;
  • für Schäden durch die Verletzung von Menschenrechten und Umweltstandards zu haften.

Laut Konzernverantwortungsinitiative erstreckt sich die Sorgfaltsprüfung auf alle Geschäftstätigkeiten und die gesamte Lieferkette. Die Haftung gilt hingegen nur für rechtlich oder wirtschaftlich kontrollierte Unternehmen, z.B. bei Alleinbezugsverträgen.

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollen grds. vom Geltungsbereich der Initiative ausgenommen werden – außer KMU, die Hochrisiko-Geschäfte tätigen, wie z.B. Gold- oder Diamantenhandel.

Zentrale Streitpunkte in der öffentlichen und parlamentarischen Debatte sind nach wie vor die Reichweite und der Geltungsbereich in punkto Sorgfaltsprüfung und Haftung.

Laut Initiativkomitee sei es unerlässlich, dass die Schweizer Muttergesellschaft hafte und es einen Schweizer Gerichtsstand gebe. Nur so sei es möglich, die Schutzziele der Initiative zu verwirklichen.

Gegner erwarten hingegen eine Flut von Klagen, was sich zum Nachteil für den Wirtschaftsstandort Schweiz auswirken würde.

Gegenvorschlag des Schweizer Parlaments

Das Schweizer Parlament befasste sich anschließend intensiv mit der Thematik. Der Nationalrat (eine der beiden Parlamentskammern) verabschiedete daraufhin im Juni 2018 einen indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative. Dieser erlaubt es dem Parlament, das Anliegen einer Initiative durch eine Gesetzesänderung umzusetzen – statt mit einer Verfassungsänderung.

Im Gegenvorschlag gibt es weiterhin die Sorgfaltsprüfung und die Unternehmenshaftung der Konzernverantwortungsinitiative. Er schränkt jedoch Reichweite und Geltungsbereich des ursprünglichen Entwurfes der Initiative ein. Das zeigt die folgende Übersicht:

Aktueller Stand des Gegenvorschlags

Die Rechtskommission des Ständerats (die andere Parlamentskammer) änderte den Entwurf des Gegenvorschlages erheblich ab und nahm eine sog. Subsidiaritätsklausel auf. Durch diese Klausel hängt die Klagemöglichkeit in der Schweiz davon ab, dass die Rechtsdurchsetzung im Ausland erschwert ist.

Im März 2019 lehnte der Ständerat den Gegenvorschlag, trotz Änderung, allerdings ab. Die Folge: Der Ball im politischen Entscheidungsprozess wurde wieder zum Nationalrat gespielt. Dieser entschied im Juni 2019 mehrheitlich, am Gegenvorschlag festzuhalten.

Anfang September 2019 änderte die Rechtskommission des Ständerates den Gegenvorschlag erneut ab. Sie beantragte, dass vor einem möglichen Gerichtsverfahren gegen ein Schweizer Unternehmen ein Schlichtungsverfahren eingeführt werden müsse. Die Aufgabe als Schlichtungsstelle sollte der Nationalen Kontaktpunkt (NKP) für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen übernehmen.

Am 26. September 2019 stand der Gegenvorschlag erneut im Ständerat zur Debatte. Dieser beschloss, die Abstimmung von der Tagesordnung zu streichen. Der Ständerat wird sich, aufgrund der kürzlich erfolgten Parlamentswahlen vom 20. Oktober 2019, mit dem Gegenvorschlag erst wieder nach erfolgter Konstituierung in neuer Zusammensetzung befassen.

Neuer Schub für die Konzernverantwortungsinitiative

Angesichts des Erfolges von Parteien bei den jüngsten Parlamentswahlen, die Umweltschutz und soziale Schutzrechte in den Vordergrund stellen, ist mit einem neuen Schub für die Anliegen der Konzernverantwortungsinitiative zu rechnen.

Bereits im Juni 2018, als der Gegenvorschlag im Nationalrat verabschiedet wurde, hatte das Initiativkomitee angekündigt, die Initiative zurückzuziehen, falls das Parlament dem ursprünglichen Gegenvorschlag zustimmt. Falls dies geschieht, tritt der Gegenvorschlag direkt in Kraft.

Das Schweizer Gesetzgebungsverfahren sieht Folgendes vor: Beide Parlamentskammern müssen einen Gesetzestext annehmen, damit er in Kraft treten kann. Weist der Ständerat hingegen das Geschäft abermals zurück, ist der Gegenvorschlag des Nationalrates vom Tisch. Dann würde die Volksabstimmung über die urspr. Konzernverantwortungsinitiative voraussichtlich im Februar 2020 stattfinden.

Author

Philippe Reich ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

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Lukas Innerebner ist Referendar bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern