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In der Presse stößt man immer wieder auf Artikel, die die Entwicklung und Veränderung des Rechtsmarkts unter die Lupe nehmen. Oft liegt der Schwerpunkt der Berichterstattung auf der wachsenden Bedeutung von – nicht immer – neuen Technologien im Rechtsmarkt (“Legal Tech„). Ein Gastbeitrag beleuchtet, warum Legal Operations in Kanzleien und Rechtsabteilungen zunehmend relevant wird.

Was versteht man unter “Legal Operations“?

Im Schatten des Legal Tech-Hype hat sich in den letzten Jahren v.a. in den USA, eine Disziplin konstituiert und etabliert, die hierzulande bis dato wenig Beachtung findet: “Legal Operations“. Dieser Begriff umfasst alle Handlungsfelder, die eine Rolle spielen, um Rechtsdienstleistungen effektiv und effizient zu erbringen: “everything except the law“.

Auslöser war die Erkenntnis, dass Rechtsabteilungen mit den gleichen Anforderungen konfrontiert sind wie andere Unternehmensabteilungen: Sie müssen eine interne Dienstleistung mit einem festen Budget und maximaler Effizienz bieten.

Gleichzeitig rückt die Rechtsabteilung wegen zunehmender Komplexität und steigender Risiken näher an die oberste Leitungsebene der Organisationen – mit veränderter Sichtweise auf die Rechtsabteilung und die Art und Weise der Leistungserbringung: „…they are no longer little islands free from economic reality“.

Wie fest sich Legal Operations als Disziplin im US-amerikanischen Rechtsmarkt bereits etabliert hat, zeigen Ergebnisse zahlreicher Marktstudien. In der Thomson Reuters Legal Tracker Customer Survey für 2018 nannten die befragten Rechtsabteilungsleiter “Focus on legal operations“ bereits an vierter Stelle (s. Abbildung 1).

Abbildung 1: Current priorities for the legal function

Die Antworten auf diese und vergleichbare Umfragen verdeutlichen eine zunehmend differenzierte Betrachtung der Rechtsfunktion: die gedankliche Trennung der eigentlichen juristischen Arbeit (legal profession) von der Art und Weise, wie Leistungen erbracht werden (business of law).

Betriebswirtschaftliche Methoden im Rechtsmarkt

Nicht ohne Grund werden im Rechtsmarkt vermehrt betriebswirtschaftliche Methoden angewandt, die in anderen Branchen und Unternehmensabteilungen z.T. seit Jahrzehnten etabliert sind: Projektmanagement, Lieferantenmanagement, Client Relationship Management, Geschäftsprozessoptimierung und -standardisierung, Dokumentenmanagement, Design Thinking, Continuous Improvement, agile Methoden usw.

Auch wenn aktuelle Beiträge rund um Digitalisierung, Künstliche Intelligenz (KI) und Blockchain die Agenden zahlreicher Veranstaltungen füllen – der Rechtsmarkt dürfte eher in den Anfängen einer Industrialisierung liegen.

So berichten Vertreter von Rechtsabteilungen und Kanzleien gleichermaßen, dass unverändert ein großer Teil der originären anwaltlichen Tätigkeit geprägt ist von Vorgehensweisen, die sich nicht wesentlich von denen früherer Anwaltsgenerationen unterscheiden: „Jeder Fall ist eben anders.“

Abbildung 2 – Die Industrialisierung des Rechtsmarkts

Tatsächlich ist zu unterscheiden: Manche Sachverhalte müssen in der „Manufaktur“ bearbeitet werden, andere ermöglichen abweichende Produktionsverfahren. Der effiziente Betrieb einer Rechtsabteilung oder einer Kanzlei erfordert jedenfalls mehr als Technologie und juristische Kompetenz.

“Structure follows Strategy“

Der Leitsatz von Alfred D. Chandler “Structure follows Strategy“ wurde mit wachsender Bedeutung von Geschäftsprozessen erweitert zu “Structure follows Process follows Strategy“. Er verdeutlicht diese Sichtweise: WAS ist die Strategie der Organisation (und daraus abgeleitet der Rechtsfunktion), WIE soll diese umgesetzt werden und WER und WAS wird dafür benötigt?

Im Zentrum dieser Betrachtungsweise stehen die Geschäftsprozesse des Unternehmens und der Abteilungen. Diese gilt es zu identifizieren und zu optimieren:

  • Welche Prozesse zählen zur Kernleistung (Rechtsberatung)?
  • Welche sind Unterstützungsprozesse?
  • Bei welchen Prozessen findet eine Interaktion mit internen und/oder externen Kunden statt (kundennahe Prozesse)?
  • Welche dienen ausschließlich innerbetrieblichen Zwecken (kundenferne Prozesse)?
  • Welche Prozesse können standardisiert und ggfs. automatisiert werden?
  • Bei welchen Prozessen kann Technologie zur Verbesserung eingesetzt werden?
  • Welche erfordern Handarbeit?

Der sorgfältigen Analyse der Geschäftsprozesse folgen Überlegungen zu Aufbau, Struktur und Ausgestaltung der Organisation (Rechtsabteilung):

  • Welche Leistungen sollen innerhalb der Abteilung erbracht werden?
  • Welche Kompetenzen sind dafür in welchem Umfang erforderlich?
  • Was ist die ideale Organisationsform der Abteilung?
  • Welche Leistungen können unter welchen Rahmenbedingungen extern bezogen werden?

Um diese und weitere Fragen zu beantworten, müssen Kompetenzen aus verschiedenen Disziplinen an einem Tisch vereint werden. Neben Jura sind dies v.a. BWL, IT und Human Resources. Die relevanten Handlungsfelder sind in den vorhandenen Legal Operations-Modellen abgebildet.

Rechtsabteilungen als Treiber von Legal Operations

Es überrascht wenig, dass maßgeblich Rechtsabteilungen Legal Operations als Disziplin vorantreiben. Rechtsabteilungen, zumindest jene in der “Corporate-World“, bewegen sich in einem deutlich unternehmerischen Umfeld und unterliegen oft innerbetrieblichen Zwängen, klassische Methoden der Betriebswirtschaftslehre zu adaptieren.

Das ist ein großer Vorteil: Viele der erwähnten Methoden sind „im Haus“ etabliert und akzeptiert und können den Transferprozess deutlich verkürzen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Unterscheidung zwischen fachlicher Kompetenz (Jura) und methodischer Kompetenz (z.B. Einkauf von externen Dienstleistungen, Projektmanagement, Geschäftsprozessoptimierung etc.) anerkannt und akzeptiert wird.

Legal Operations – in Deutschland und in den USA

In Deutschland existieren Legal Operations-Funktionen bislang nur vereinzelt, oft unter anderem Namen und als Zusatzaufgabe von Mitgliedern der Rechtsabteilung. Gleichwohl hat diese Funktion weder die Bedeutung noch die Aufmerksamkeit, die ihr in den USA zuteil wird.

An der Tagung der Corporate Legal Operations Consortium (CLOC) im April 2018 in Las Vegas nahmen über 2.000 Legal Operations Experten teil. In diesem Kreis wird offen über Trends und Entwicklungen diskutiert, Ideen und Lösungsansätze werden geteilt.

Dies ist eine ideale Plattform für Vertreter von Rechtsabteilungen und Kanzleien, um von den Erfahrungen anderer Mitstreiter zu lernen. Sie gewinnen einen präzisen Eindruck von den sich ändernden Erwartungshaltungen, mit denen Rechtsabteilungen bzw. Kanzleien, an die sich Rechtsabteilungen wenden, konfrontiert sind.

Legal Operations – Vorgehensmodelle 

Gleich zwei Organisationen treiben die Entwicklung von Legal Operations mit teilweise bemerkenswerter Geschwindigkeit voran: die CLOC und die Association of Corporate Counsel (ACC).

Beide Organisationen bieten ein eigenes Vorgehensmodell, um die vielfältigen Handlungsfelder zu bearbeiten. Gemein haben beide Folgendes: die Idee des Austauschs und einer gemeinsamen Bearbeitung anstehender Herausforderungen – auch wenn noch mit starkem Fokus auf Rechtsabteilungen.

Sowohl die ACC als auch die CLOC werden expandieren und mit ihrem Vorgehensmodell verstärkt auch den deutschsprachigen Raum durchdringen. Die Entwicklung von Legal Operations in Deutschland wird sich nicht auf Rechtsabteilungen beschränken. Viele der Handlungsfelder betreffen auch – ab einer gewissen Größe – Kanzleien und alternative Anbieter von Rechtsdienstleistungen.

Die Zukunft von Legal Operations in Deutschland

Die Bedeutung von Legal Operations in Deutschland wird zunehmen. Abnehmer und Anbieter von Rechtsdienstleistungen sind gefordert, die Art und Weise der Leistungserbringung zu prüfen und Chancen zu nutzen, um Effizienz und Effektivität zu steigern.

Im Kern ist und bleibt die juristische Arbeit geprägt von der Fähigkeit, komplexe Sachverhalte zu analysieren und – unter Berücksichtigung von Regeln und Normen – Lösungen zu entwickeln. Neu ist, dass Fähigkeit in einen eigenen unternehmerischen Kontext eingebettet wird. Die Handlungsfelder sind ebenso vielfältig wie die Rechtsfragen, die es zu beantworten gilt.

Es geht mehr als nur um Jura. Rechtsabteilungen, Kanzleien und andere Rechtsdienstleiter sind aufgefordert, durch enge Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams und auf Augenhöhe mit z.B. Betriebswirten, Informatikern und Personalentwicklern neue Ansätze zu entwickeln, um Rechtsdienstleistungen zu erbringen.

Ein Blick über den Tellerrand scheint vielversprechend, denn so manche Herausforderung ist nicht grds. neu und wurde in anderen Branchen, Abteilungen und Teams bereits erfolgreich gemeistert.

Author

Achim Tschauder ist Betriebswirt und war von 2008 bis 2017 Leiter Marketing und Geschäftsentwicklung Deutschland einer internationalen Großkanzlei. Vor seinem Einstieg in den Rechtsmarkt war er unter anderem als Director Sales für American Express, als Managementberater für Computer Sciences Corporation und als Leiter Operations der KARSTADT Reisebürokette tätig.