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Im lange erwarteten Urteil im Fall Coty-Germany stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) klar: Hersteller von Luxusgütern können unter bestimmten Voraussetzungen den Vertrieb ihrer Produkte über Online-Plattformen untersagen.

Das könnten viele Hersteller zum Anlass nehmen, ihre Vertriebsbestimmungen für den Online-Handel anzupassen. Welche Kriterien sollten Hersteller, Händler und Online-Plattformen im Auge haben?

E-Commerce und selektive Vertriebssysteme

Der Online-Handel wächst stetig und ist heute für viele Verbraucher selbstverständlich. 2017 entfiel ein Sechstel aller Handelsumsätze auf E-Commerce. Viele Verbraucher schätzen die Vorteile des Online-Handels, z.B. die Möglichkeit, zu jeder Zeit per Smartphone eine Bestellung abzugeben oder die Preise diverser Angebote einfach zu vergleichen.

Zu den Akteuren im Bereich E-Commerce gehören auch Online-Plattformen. Sie ermöglichen den Verkäufern, Verbraucher über ihre eigene Website und auch über die Online-Plattform zu erreichen. So wurden Online-Plattformen zu digitalen Marktplätzen bzw. Einkaufspassagen des 21. Jahrhunderts.

Online-Plattformen: ein wichtiger Vertriebskanal für Hersteller und Händler

Dieser Trend geht auch an den Produktherstellern und am stationären Handel nicht vorbei. Viele zuvor nur stationäre Händler bieten heute ihre Produkte auch online an. Einige beschränken sich auf den Vertrieb über die eigene Website. Andere nutzen auch die Möglichkeiten, die ihnen Online-Plattformen und Preisvergleichsportale bieten.

Für viele Hersteller und Händler sind diese Dienste ein zunehmend wichtiger Vertriebskanal. Die Folge: Zahlreiche Produkthersteller müssen sich umstellen. Viele von ihnen haben selektive Vertriebssysteme für den stationären Handel entwickelt. Diese sollen ihren Produkten ein besonderes Image der Hochwertigkeit oder des Luxus verleihen.

Einige Produkthersteller sehen dieses Image in Gefahr, wenn ihre Produkte über Online-Plattformen vertrieben werden. Daher untersagen sie ihren Händlern, Online-Plattformen zu nutzen. Um einen solchen Fall ging es im Urteil Coty-Germany.

Worum geht es im Urteil Coty-Germany?

Coty Germany ist ein deutscher Hersteller von Luxuskosmetika, der seine Produkte über ein selektives Vertriebssystem verkauft. Einer seiner autorisierten Händler ist die Parfümeriekette „Parfümerie Akzente“.

Um das Luxusimage seiner Produkte zu schützen, gibt Coty Germany seinen autorisierten Händlern vor, wie sie die Produkte online vertreiben dürfen. So dürfen sie z.B. die Waren über die eigene Website verkaufen. Nicht erlaubt ist ein Verkauf über Online-Plattformen, wenn diese nach außen erkennbar in Erscheinung treten.

Die Folge: Händler dürfen die Ware nicht über solche Plattformen vertreiben. Damit war die Parfümerie Akzente nicht einverstanden – was den Fall zuerst zum Landgericht und später zum Oberlandesgericht Frankfurt (OLG Frankfurt) brachte.

Das OLG Frankfurt wandte sich mit folgender Frage an den EuGH: Inwieweit ist es nach europäischem Kartellrecht möglich, bei einem selektiven Vertriebssystem einen Verkauf über erkennbare Online-Plattformen zu untersagen, um das Produktimage einer Luxusware zu schützen?

So entschied der EuGH

Der EuGH erläuterte seine gefestigte Rechtsprechung. Danach schränkt ein selektives Vertriebssystem den Wettbewerb nicht ein, wenn folgende vier Kriterien erfüllt sind:

  • Man muss ein selektives Vertriebssystem errichten, um die Qualität der vertriebenen Produkte zu wahren und ihren richtigen Gebrauch sicherzustellen.
  • Die autorisierten Händler werden anhand objektiver qualitativer Kriterien ausgesucht.
  • Die festgelegten qualitativen Auswahlkriterien sind auf das Erforderliche beschränkt.
  • Keiner der potentiellen Händler wird bei der Auswahl diskriminiert.

Das Gericht erläuterte, warum ein selektives Vertriebssystem erforderlich sein kann, um die Qualität der Produkte zu wahren. Die Qualität basiere nicht nur auf den materiellen Produkteigenschaften. Bei Luxuswaren gehöre auch ihr Prestigecharakter dazu.

Ein selektives Vertriebssystem könne erforderlich sein, um das damit einhergehende Luxusimage zu schützen. Sind die vier Kriterien für ein selektives Vertriebssystem erfüllt, könne der Hersteller den Verkauf über erkennbare Drittplattformen untersagen, wenn folgende Kriterien erfüllt seien:

  • Die Untersagungsklausel ist diskriminierungsfrei; d.h., sie gilt für alle autorisierten Händler.
  • Die Untersagungsklausel hat den Zweck, das Luxusimage des betroffenen Produkts zu wahren.
  • Die Untersagungsklausel steht in angemessenem Verhältnis zu ihrem Zweck.

Ob das letzte Kriterium erfüllt sei, müsse das OLG Frankfurt unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls prüfen. Sollte das nicht der Fall sein, so stelle die Untersagungsklausel als Bestandteil eines selektiven Vertriebssystems eine Wettbewerbsbeschränkung, aber keine sog. Hardcore-Beschränkung aus der Vertikal-GVO dar.

Das bedeutet: Die Klausel kann kartellrechtlich zulässig sein, wenn die relevanten Marktanteile der Vertragsparteien jeweils unter 30 Prozent liegen.

Wie schätzt die Europäische  Kommission das Urteil ein?

Auch die Europäische Kommission hat sich in einem Policy Brief zu dem Urteil des EuGH geäußert. Nach ihrer Auffassung stellt ein Plattformverbot grds. keine Hardcore-Beschränkung im Sinne der Vertikal-GVO dar.

Sollte es sich bei der Untersagungsklausel nach den gefestigten Kriterien des EuGH um eine Wettbewerbsbeschränkung handeln, sei diese trotzdem zulässig, solange die Marktanteile der Parteien jeweils 30 Prozent nicht übersteigen.

Laut Kommission gilt das nicht nur für Luxus- und Qualitätsprodukte, sondern für alle Produktkategorien und unabhängig von den Marktbedingungen im Einzelfall.

Welche Konsequenzen hat das Urteil für Vertriebssysteme in Deutschland?

Das Coty-Urteil hat weitreichende Konsequenzen. Hersteller können – unter den oben gezeigten Bedingungen – bei einem selektiven Vertriebssystem autorisierten Händlern den Vertrieb über erkennbare Drittplattformen untersagen.

Anders als der EuGH sah das Bundeskartellamt solche Plattformverbote und andere Einschränkungen des Online-Handels bisher sehr kritisch. Daher begrüßen viele Hersteller das Coty-Urteil.

Es ist zu erwarten, dass sie es zum Anlass nehmen werden, um ihre Vertriebsbestimmungen für den Online-Handel neu zu justieren.

Folgende Fragen sind zu berücksichtigen:

Inwieweit handelt es sich bei der Beschränkung des Vertriebs über Drittplattformen um eine Wettbewerbsbeschränkung? Der Wettbewerb wird nach der EuGH-Rechtsprechung nicht beschränkt, wenn

  • allen Händlern untersagt wird, Drittplattformen zu nutzen
  • durch dieses Verbot die Qualität und das Image des Produkts gewahrt werden und
  • das Verbot angemessen ist.

Wenn nicht alle drei Kriterien erfüllt sind, liegt eine Wettbewerbsbeschränkung vor.

Dann ist zu prüfen, ob die Vertikal-GVO greift, also die Marktanteile der Parteien 30 Prozent nicht übersteigen. Sind die Voraussetzungen hierfür gegeben, wäre es zulässig, dass die Nutzung von Drittplattformen verboten wird.

Author

Eugen Wingerter ist Associate bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern