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Legal Tech ist das Hot Topic der letzten Jahre. Die Innovationskraft erschöpft sich jedoch oft in der Suche neuer Softwarelösungen, die in der Praxis häufig nicht die Erwartungen erfüllen. Was wäre, wenn wir selbst Lösungen programmieren? Ein Grundverständnis der Programmierung schärft das Verständnis für die Funktionsweise von Programmen und gibt Anwälten ein Gespür, was Programme heutzutage leisten können – und was nicht.

Zugunsten der Lesbarkeit haben wir auf geschlechterspezifische Schreibweise verzichtet. Wir bitten um Verständnis.

Vor einigen Jahren haben Juristen die Vorzüge der Informationstechnologie für sich neu entdeckt. Unter dem Sammelbegriff „Legal Tech“ läuteten viele Software-Unternehmen und Kanzleien ein neues Zeitalter ein. Der Schwerpunkt der Initiativen lag vornehmlich auf der Entwicklung von Automatisierungs- und Standardisierungslösungen. Das war auf jeden Fall sinnvoll, aber auch längst überfällig.

Nun gelten Juristen als eine eher technikaverse Spezies. Bewunderung wird einem häufig bereits bei einem halbwegs souveränen Umgang mit Excel entgegengebracht.

Längere Einarbeitungsphase

Um technisch anspruchsvollere Programme zu nutzen, mit denen man z.B. Verträge sowie sonstige Dokumente automatisieren kann, ist häufig eine längere Einarbeitungsphase nötig.

So muss man etwa für die Erstellung eines Vertragstemplates, das statische und dynamische Textelemente enthält, Bedingungen und Variablen definieren. Das ist erforderlich um festzulegen, unter welchen Umständen welche Textinhalte verwendet werden sollen.

Bedingungen und Variablen sind gleichzeitig auch wesentliche Elemente einer Programmiersprache. Daher stellt sich hier die Frage: Müssen Anwälte selbst programmieren lernen?

No-Code und Low-Code machen es Juristen leichter

Anbieter im Legal Tech-Bereich dürften diese Frage eher mit „Nein“ beantworten. Denn sie haben sich mit auf den Rechtsbereich spezialisierten Lösungen den technisch weniger versierten Juristen angenähert.

Bedingungen, Befehle und Variablen muss der Anwender nicht mehr in eine (ggf. reduzierte) Programmiersprache übersetzen. Vielmehr kann er diese in einer entsprechenden Entwicklungsumgebung über grafische Benutzeroberflächen erstellen. Bekannt im Markt sind z.B. Visualisierungen wie Entscheidungsbäume, in denen man Befehle und Aktionen per Mausklick zusammensetzen kann.

Diese Entwicklungsumgebungen werden im allgemeinen daher als „No Code“- oder „Low Code“-Plattformen bezeichnet und beschleunigen den Anwendungsentwicklungsprozess erheblich.

Die Vorteile solcher Plattformen liegen auf der Hand: Mit Hilfe einer intuitiven grafischen Benutzeroberflächen müssen Anwender eine Programmiersprache nicht selbst erlernen, sondern können ihre Anwendungen ohne spezifische Fachkenntnisse selbst entwickeln. Sie müssen auch nicht für jeden Change Request, also für eine Änderungsanforderung der Anwendung,  einen Programmierer anrufen, sondern können dies im Rahmen der Möglichkeiten der Entwicklungsplattform im Wesentlichen selbst erledigen.

Die Entwicklungsplattform ist allerdings selbst der limitierende Faktor: Im Sinne der Vereinfachung stehen bestimmte Operatoren, Funktionen sowie Schnittstellen zu anderen Programmen nicht bereit. Fordert ein Anbieter diese an, dauert es bis zur Implementierung oft zu viel zu lange. Das jeweilige Projekt, für das man die Änderung benötigte, ist schon vorbei.

Gleichzeitig erhöht auch jede Ergänzung der Plattform die Komplexität. Die Folge: Der Vorteil der einfachen Handhabung kann so leicht verpuffen.

Auch das auf der Plattform entwickelte Tool kann unübersichtlich werden, abhängig von seinem Komplexitätsgrad. Ab einer gewissen Größe des Tools kann nur noch der Entwickler des Tools selbst die Entwicklungsumgebung nachvollziehen.

Das Bottleneck verschiebt sich dann. Es ist nicht mehr der Plattformanbieter, sondern der Jurist, der das Tool entwickelt hat und der Änderungswünsche der übrigen Tool-Nutzer implementieren muss.

Sollen Anwälte selbst programmieren lernen?

Vor dem Hintergrund, dass wir in unserer Kanzlei einen Kurs „Einführung in die Programmierung“ für Anwälte anbieten, dürfte die Vermutung naheliegen, dass unsere Antwort auf diese Frage „Ja“ lautet.

Der Anwalt könnte schnell seine maßgeschneiderte Lösung selbst programmieren statt auf ein Update des Softwareanbieters zu warten, der vielleicht den Änderungswunsch in seiner neuen Version berücksichtigt hat.

Die Entwicklungsumgebung dürfte auch auf jedem Dienstlaptop vorhanden sein. Anwälte nutzen in der Regel Office-Anwendungen von Microsoft. Schon seit Jahrzehnten ist es möglich,  über Makros und der dazugehörigen Programmiersprache Visual Basic for Applications (VBA) auf Programme wie Word, Excel oder Outlook zuzugreifen und Automatisierungen selbst zu programmieren.

Es steht allerdings auf einem anderen Blatt, ob Anwälte sich neben ihrem Beruf intensiv mit dem Programmieren beschäftigen werden. Ein einmaliger Einführungskurs in die Programmierung würde nicht ausreichen, um ohne Weiteres seine Prozesse selbständig zu automatisieren.

Allerdings ist ein Grundverständnis der Programmierung auch ohne ambitionierte Karriereabsichten in der Softwareentwicklung sinnvoll. Es schärft das Verständnis für die Funktionsweise von Programmen und gibt Anwälten ein besseres Gefühl dafür, was Programme heutzutage leisten können und was nicht. Es ist auch hilfreich, wenn sich Legal Tech-Softwareanbieter nicht nur ihren Kunden annähern, sondern auch umgekehrt. Denn gegenseitiges Verständnis beugt Missverständnissen und Enttäuschungen vor.

Sollten wir nicht einfach auf die Zukunft hoffen?

Warum jetzt bemühen, wenn wir unser Wissen in Zukunft nicht mehr benötigen? Was ist, wenn Künstliche Intelligenz (KI) bald so weit ist, dass sie auf Zuruf dem technisch nicht versierten Anwalt maßgeschneiderte Lösungen sofort und ohne kommunikative Missverständnisse programmieren und zur Verfügung stellen kann?

Wir haben Chat GPT dazu befragt, der aber die Erwartungen hierzu dämpfte – jedenfalls nach Stand: 2021:

Es ist möglich, dass die LegalTech-Technologien in der Zukunft weiter entwickelt werden und es möglicherweise möglich sein wird, dass Rechtsanwälte ihre Anforderungen eingeben und das System dann selbstständig eine passende Lösung generiert. Allerdings denke ich, dass es immer noch eine gewisse Expertise erfordern wird, um die Anforderungen richtig zu formulieren und sicherzustellen, dass das System die gewünschte Lösung generiert. Zudem gibt es möglicherweise immer noch Fälle, in denen es notwendig ist, speziellere oder komplexere Lösungen zu entwickeln, die über die Fähigkeiten von automatisierten Systemen hinausgehen. In diesen Fällen könnten Programmierkenntnisse hilfreich sein, um die benötigten Lösungen zu entwickeln.

Wir schließen uns dieser Einschätzung an. Es ist keine vergeudete Zeit, sich als Anwalt mit den Grundlagen der Programmierung zu beschäftigen.

Author

Christian Koops ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Author

Alexander Ritter ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern