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Die Coronavirus-Krise  wirkt sich aus auf die Durchsetzung des Kartellrechts: Weltweit ist die Arbeitsfähigkeit der Wettbewerbsbehörden eingeschränkt. Vor allem die Fusionskontrolle ist beeinträchtigt. Zumindest vorübergehend werden sich die Prioritäten der Wettbewerbsbehörden verschieben.

Das Recht als solches bleibt in Deutschland und Österreich bis auf Weiteres unberührt, einzelne Staaten sehen bereits sektorspezifische Ausnahmeregelungen vor.

Transaktionen planen – was ist zu berücksichtigen?

Bei Fusionskontrollverfahren muss mit Verzögerungen gerechnet werden:

  • Wettbewerbsbehörden wie die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt ermutigen Unternehmen, geplante Transaktionen zu verschieben. Andere Wettbewerbsbehörden, wie z.B. die französische Autorité de la Concurrence, haben angekündigt, dass sich das Fusionskontrollverfahren verzögern kann.
  • Einige Wettbewerbsbehörden haben die Prüfungsfristen bereits verlängert, z.B. Dänemark und Neuseeland. In wenigen Fällen setzen die Wettbewerbsbehörden ihre Tätigkeit sogar vollständig aus, wie in den Philippinen, Indien und Indonesien. Es ist möglich, dass andere Wettbewerbsbehörden folgen.
  • Die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde hat angekündigt, dass für alle ab dem 22. März 2020 und vor dem 30. April 2020 angemeldeten Transaktionen die Frist erst ab dem 1. Mai 2020 zu laufen beginnt.

Unternehmen sollten die wahrscheinlichen Verzögerungen bei der Planung des Zeitplans der Transaktion berücksichtigen, z.B. durch angepasste Longstop Dates.

Kontakt mit Wettbewerbsbehörden vor der Anmeldung

Kann ein Unternehmen eine Transaktion nicht aufschieben, ist es in der Regel gut beraten, vorher mit den Wettbewerbsbehörden zu sprechen. Eine abgestimmte Anmeldung ermöglicht eine bessere Planung – für die Wettbewerbsbehörden und auch für das anmeldende Unternehmen.

Zu beachten ist allerdings auch: Solange es keine offiziellen Verlautbarungen der Behörden gibt, die über die Bitte, später anzumelden, hinausgehen, muss die Behörde die Transaktion prüfen. Die Fiktionen der Freigabe nach Ablauf der Prüfungsfristen gelten weiterhin.

Erleichterungen beim Anmeldeverfahren

Angesichts der Ausgangsbeschränkungen akzeptiert die Europäische Kommission jetzt auch Anmeldungen in digitaler Form per E-Mail oder über die Plattform eTrustEx der Kommission.

Auch die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde akzeptiert seit letzter Woche elektronische Anmeldungen über die Plattform webERV. Das Bundeskartellamt nimmt wie üblich Einreichungen per Fax entgegen.

Besondere Herausforderungen beim Prüfverfahren für Wettbewerbsbehörden und Unternehmen

Für die Wettbewerbsbehörden kann es schwieriger werden, einen Markttest durchzuführen und Informationen von Dritten zu ermitteln, die ebenfalls von zu Hause aus arbeiten.

Auch für die anmeldenden Unternehmen kann es schwieriger werden, im Verfahren angeforderte Informationen kurzfristig bereitzustellen, da sie möglicherweise von zu Hause aus keinen Zugriff darauf haben.

Die Ergebnisse von Markttests können unter den aktuellen Bedingungen ungenau oder sogar falsch sein, weil Kunden und Wettbewerber auf Anfragen der Behörden nicht wie sonst reagieren. Auf beides, das erschwerte Beibringen von Informationen und ungenaue Ergebnisse des Markttests, sollten Unternehmen vorbereitet sein.

Worauf sich Wettbewerbsbehörden konzentrieren werden

Die Wettbewerbsbehörden werden Verhaltensweisen, die als ein krisenbedingter Missbrauch von (relativer) Marktbeherrschung angesehen werden können, genau unter die Lupe nehmen. Im Zweifel werden sie dabei zu einer strengen und gegebenenfalls  strengeren Auslegung als bisher neigen.

Unternehmen mit Marktmacht auf Märkten, die einen krisenbedingten Nachfrageanstieg erleben, selbst wenn sie nur auf die engst mögliche Marktdefinition gestützt sein sollte, müssen sich der verstärkten Kontrolle durch die Behörden bewusst sein.

Auch Wettbewerber und/oder Kunden werden krisenbedingte Änderungen von Preisen und anderen Bedingungen zurzeit genau beobachten. Sie werden den Behörden mitteilen, wenn sie glauben, dass das Verhalten eines Unternehmens als missbräuchlich angesehen werden könnte.

Warnungen der Wettbewerbsbehörden

Behörden im Vereinigten Königreich, China, Ecuador und Kolumbien haben bereits gezielt Schreiben verschickt, in denen sie vor wettbewerbs- und verbraucherschädigendem Verhalten warnen.

Die Competition and Markets Authority (CMA) im Vereinigten Königreich forderte Pharma- und Lebensmittelunternehmen dazu auf,  auffällige Preiserhöhungen der vorgelagerten Großhändler oder Lieferanten zu melden.

Auch andere Wettbewerbsbehörden könnten diesem Beispiel folgen und ähnliche Warnungen versenden.

Kooperationen der Krise

Wettbewerbsbehörden werden einer Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern mit einer klaren krisenbezogenen Rechtfertigung mit Wohlwollen begegnen. Ihnen ist bewusst, dass eine Kooperation in der Krise nötig sein kann, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten oder relevante Innovationen zu fördern.

Das European Competition Network (ECN) erklärte ausdrücklich, dass es nicht aktiv gegen „notwendige und befristete“ Maßnahmen kooperierender Unternehmen eingreifen werde, die eingeführt werden, um Lieferengpässe zu vermeiden.

Denn diese stellen höchstwahrscheinlich entweder keine Wettbewerbsbeschränkungen dar oder erzeugen Effizienzgewinne, die eine Beschränkung überwiegen würden.

Wettbewerbsbehörden bieten Kontaktaufnahmen an

Unternehmen, die unsicher sind, ob ihre Pläne mit dem Kartellrecht vereinbar sind, können sich an die Europäische Kommission oder an die nationale Wettbewerbsbehörde wenden.

Die europäischen Wettbewerbsbehörden haben in einer gemeinsamen Stellungnahme ausdrücklich angeregt, den Kontakt zu ihnen zu suchen und angeboten, hier informell zu beraten. Am 30. März 2020 hat die Kommission hierfür eine gesonderte Kontaktadresse (COMP-COVID-ANTITRUST@ec.europa.eu) eingerichtet.

Erste sektorspezifische Ausnahmeregelungen

Mehrere Jurisidiktionen haben (vorübergehende) Ausnahmen vom Kartellrecht für Industriezweige zugelassen, die von der Krise besonders hart getroffen worden sind, z.B. für Fluggesellschaften in Norwegen, Supermärkte im Vereinigten Königreich und in Australien und für das Gesundheitswesen in den USA und Südafrika.

Author

Jonas Brückner ist Counsel bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Author

Teresa Gerhold ist Associate bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern