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Arbeitgeber haben bestimmte Pflichten, was Bewerbungen schwerbehinderter Menschen anbelangt: Nach § 81 Abs 1. S. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) IX müssen sie die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 SGB IX genannten Vertretungen über Vermittlungsvorschläge und Bewerbungen schwerbehinderter Menschen „unmittelbar nach Eingang“ informieren.

Klarzustellen ist, was das für Sie als Arbeitgeber „unmittelbar“ bedeutet und inwieweit der übliche Geschäftsablauf bei der Ausschreibung von Stellen und der Sichtung von Bewerbungsunterlagen in Unternehmen dem Rechnung trägt. Außerdem sollen die Folgen eines Verstoßes gegen dieses Erfordernis dargestellt werden sowie welche Maßnahmen Sie als Arbeitgeber treffen können, um Compliance-Verstöße in diesem Bereich zu vermeiden.

Keine Vorauswahl durch Arbeitgeber

Wenn der Arbeitgeber alle eingegangenen Bewerbungen und Vermittlungsvorschläge zunächst sichtet und sie erst anschließend an die Schwerbehindertenvertretung weiterleitet, geschieht das nicht „unmittelbar nach Eingang“. Darüber ist man sich einig. „Unmittelbar nach Eingang“ heißt nicht nur „ohne Vorauswahl“ durch den Arbeitgeber, sondern auch zeitlich unverzüglich.

Das SGB enthält keine eigene Definition, was „unverzüglich“ bedeutet. Allerdings verwendet das Gesetz den Begriff an verschiedenen Stellen – etwa in § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I. Greift man auf allgemeine Maßstäbe zurück, z.B. auf § 121 Abs. 1 BGB – auf die Frist zur Anfechtung von Willenserklärungen wegen Irrtums, wird eine Weiterleitung der Unterlagen dann noch unverzüglich sein, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern erfolgt, d.h. etwa innerhalb einer Woche.

Es ist also Arbeitgebern nicht gestattet, den Kreis der Bewerbungen und Vermittlungsvorschläge für schwerbehinderte Bewerber vor der Weiterleitung einzuengen oder bei Weiterleitung schon mit einer Auswahlentscheidung zu verbinden. Ebenso wenig ist es möglich, Bewerbungen und Vermittlungsvorschläge über mehrere Wochen anzusammeln und diese erst dann an die Schwerbehindertenvertretung und die betriebliche Interessenvertretung weiterzuleiten.

Entscheidungsprozess des Arbeitgebers beeinflussen

Bewerbungen und Vermittlungsvorschläge früh weiterzuleiten soll gewährleisten, dass die Schwerbehindertenvertretung und die betriebliche Interessenvertretung das Recht auf Beteiligung bzw. Anhörung nach § 81 Abs. 1 S. 6 SGB IX wirksam ausüben können. Schwerbehindertenvertretung und betriebliche Interessenvertretung sollen auf den Entscheidungsprozess des Arbeitgebers Einfluss nehmen können.

Dies wird wesentlich erschwert, wenn sich der Arbeitgeber wegen einer Vorabprüfung und Vorauswahl aus allen eingegangenen Bewerbungsunterlagen und Vermittlungsvorschlägen bereits eine abschließende Meinung gebildet oder gar eine Auswahlentscheidung formuliert hat.

Wann muss der Arbeitgeber Bewerbungsunterlagen weiterleiten?

Allerdings muss der Arbeitgeber die Bewerbungsunterlagen und Vermittlungsvorschläge nur dann weiterleiten, wenn der Arbeitnehmer seine Schwerbehinderung im Bewerbungsschreiben offengelegt und nicht nur an versteckter Stelle auf die Schwerbehinderung hingewiesen hat (vgl. BAG 26.9.2013 – 8 AZR 650/12, siehe dort Ziffer 3 a). Die Pflicht, die Unterlagen weiterzuleiten, besteht auch nicht bei Initiativbewerbungen, sondern nur, wenn es aus Sicht des Arbeitgebers eine freie zu besetzende Stelle gibt.

Verstoß als Indiz für Benachteiligung Schwerbehinderter

Die Verletzung – auch nur einzelner – Pflichten des Arbeitgebers aus § 81 Abs. 1 SGB IX begründet bei Schwerbehinderten und ihnen Gleichgestellten ein ausreichendes Indiz für eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung i.S.v. § 81 Abs. 2 SGB IX i.V.m. § 22 AGG (vgl. BAG 15.2.2005 – 9 AZR 635/03). Weder ein schuldhaftes Handeln noch eine Benachteiligungsabsicht sind erforderlich. Die Indizwirkung führt zu einer Umkehr der Beweislast. Danach muss der Arbeitgeber beweisen, dass keine Benachteiligung vorlag.

Dass der Arbeitgeber die Pflicht verletzt hat, Bewerbungen und Vermittlungsvorschläge weiterzuleiten, gibt den betrieblichen Interessenvertretungen außerdem das Recht, die Zustimmung zur Einstellung anderer Bewerber zu verweigern, z.B. nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Zudem ist es eine Ordnungswidrigkeit (§ 156 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX), die mit einer Geldbuße von bis zu EUR 10.000 geahndet werden kann. Diese muss der Arbeitgeber ans Integrationsamt abführen.

Wie können Arbeitgeber Verstöße vermeiden?

Arbeitgeber sind gut beraten, ihre internen Abläufe und Bewerbungsprozesse zu überprüfen. Der Eingang von Bewerbungen oder Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit in puncto schwerbehinderter Bewerber sollte regelmäßig überwacht werden. Es bietet sich an, dies zum Pflichtenkatalog konkreter Mitarbeiter der Personalabteilung hinzuzufügen, soweit dies nicht ohnehin schon geschehen ist.

Für Online-Bewerbungsverfahren sollte der Arbeitgeber zumindest vorsehen, dass es technisch möglich ist, auf die Schwerbehinderung hinzuweisen, z.B., indem der Bewerber ein Häkchen setzen oder einen Text eingeben kann. Die betreffende Stelle sollte gut sichtbar sein. Datenschutzrechtlich ist die Frage nach Schwerbehinderung beim Online-Bewerbungsverfahren unbedenklich. Denn so erhalten Schwerbehinderte beim Bewerbungsverfahren Zugang zu den besonderen Förderungspflichten des § 81 SGB IX.

 

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Dieser Beitrag erscheint als Gastbeitrag im Expertenforum Arbeitsrecht (#EFAR).

Author

Hagen Köckeritz ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern