Search for:

Der Bundestag hat temporäre Anpassungen im Sanierungs- und Insolvenzrecht beschlossen – als Reaktion auf die enormen Preissteigerungen- und Schwankungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten. Das „Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen“ (kurz: Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG) ist noch zu verkünden. Das SanInsKG zielt darauf ab, finanziell „in ihrem Kern gesunde“ und langfristig überlebensfähige Unternehmen zu entlasten, die wegen der aktuellen Preisvolatilitäten eine vorausschauende Liquiditätsplanung nicht oder nur bedingt vornehmen können.

Was genau hat der Bundestag beschlossen? Und welche Wirkungen werden die Neuerungen auf die Sanierungs- und Insolvenzpraxis haben? Ein Überblick.  

Was ist das Ziel des SanInsKG?

Das SanInsKG knüpft strukturell und inhaltlich an das „COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes (COVInsAG)“ vom 1. März 2020 an.

Bereits die neue Bezeichnung des Gesetzes zeigt: Die Politik möchte der aktuellen wirtschaftlichen „Krise“ regulativ begegnen – zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2023. Das SanInsKG hat seinen Ursprung in dem Maßnahmenpaket zur Sicherung einer bezahlbaren Energie­versorgung und zur Stärkung der Einkommen, das der Koalitionsausschuss am 3. September 2022 beschlossen hat. Es tritt neben die noch umzusetzenden primär finanziellen Hilfen („Doppelwumms“ des Kanzlers).

Als drittes Entlastungspaket sieht das SanInsKG folgende Maßnahmen vor:

  • Der Zeitraum für die Fortführungsprognose bei Über­schuldung nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO verkürzt sich von zwölf auf vier Monate (s.u.);
  • Die Höchstfristen für die Insolvenzantragsstellung bei Überschuldung nach § 15 a Abs. 1 S. 2 InsO verlängern sich von sechs auf acht Wochen (s.u.);
  • Der Zeitraum für den Finanzplan im Rahmen eines Eigenver­waltungsverfahrens nach § 270 a Abs. 1 Nr. 1 InsO und im Rahmen eines Restrukturierungsvorhabens nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG verkürzt sich von sechs auf vier Monate (s.u.);
  • Wichtig: Die zwischenzeitlich diskutierte allg. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht – wie einst während der Corona-Pandemie – ist damit (zunächst) vom Tisch. Auch der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit bleibt unangetastet.

Kürzerer Prognosezeitraum für Überschuldungsprüfung

Im Mittelpunkt der geplanten Gesetzesänderung steht nicht der – in der Praxis relevanteste –  Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit. Hier wird es keine Änderungen geben. Ausschließlich der Prognosezeitraum im Rahmen der Überschuldung wird neu justiert.

Der zweistufige Überschuldungsbegriff

Der Insolvenzgrund der Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 S. 1 InsO dann vor, wenn das Aktivvermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Ausnahme: Die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend (> 50 Prozent) wahrscheinlich.

Der Gesetzgeber legt dem Überschuldungsbegriff also eine zweistufige Prüfung zugrunde: Erst wenn eine positive Fortführungsprognose der Gesellschaft verneint wird, ist eine rechnerische Überschuldungsprüfung nach Zerschlagungswerten durch eine Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva in einem Überschuldungsstatus vorzunehmen.

Gesetzesänderung durch das SanInsKG

Durch § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG wird der Prognosezeitraum – zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2023 – auf vier Monate begrenzt. Die Herabsetzung des Prognosezeitraums wird mit der derzeit angespannten Lage anlässlich des geopolitischen Russland-Ukraine-Konflikts begründet. Aufgrund bestehender Marktunsicherheiten über „Art, Ausmaß und Dauer des eingetretenen Krisenzustandes„, sowie der in kurzzeitigen Abständen stark steigenden Energie- und Rohstoffpreise sei es für Unternehmen oftmals nicht möglich eine verlässliche Fortführungsprognose über einen Zeitraum von zwölf Monaten zu bilden. Der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter könnte daher aufgrund der unsicheren Annahmen und des im Raume stehenden immensen zivil- und strafrechtlichen Haftungsrisikos in die Bredouille kommen, Insolvenzantrag stellen zu müssen. Dies, obwohl das Unternehmen über einen „gesunden Kern“ verfügt und bei Hinwegdenken der Unsicherheiten und Preisvolatilitäten ohne weiteres fortbestehen könnte. Dies wäre gesamtwirtschaftlich schädlich und soll verhindert werden.

Im Gegensatz zu § 4 COVInsAG ist es ausdrücklich nicht erforderlich, dass die Überschuldung kausal auf die (Energie-) Krise, hier also die starken  Preissteigerung- und Schwankungen auf den Energiemärkten, zurückzuführen ist. Die Gesetzes­änderung kommt folglich – ohne Rücksicht auf eine individuelle Betroffenheit – allen Wirtschaftsteilnehmern zugute, auch wenn mitunter andere Krisenursachen vorliegen.

Das wird v.a. damit begründet, dass sich das Maß einer hinreichenden Betroffenheit nur schwerlich festlegen lässt, ohne damit Unsicher­heiten der Art in Kauf zu nehmen, die durch die Verkürzung des Prognosezeitraums gerade ausgeschlossen werden sollen. So seien mehr oder weniger alle Wirtschaftsteilnehmer zumindest mittelbar von der Energiekrise betroffen. Ein zwar einleuchtender Grund, jedoch werden hiervon letztlich auch Unternehmen profitieren, die z.B.  wegen eines schlechten Geschäftsmodells oder eines Fehlmanagements in die Krise gelangt sind.

Sonderkonstellationen

Die Verkürzung des Prognosezeitraums bei der Überschuldungsprüfung gilt zwar denklogisch erst mit Inkrafttreten des SanInsKG (jenes ist für den Folgetag nach der geplanten Verkündung des Gesetzes Ende Oktober bzw. Anfang November vorgesehen). Sie soll allerdings auch diejenigen Fälle erfassen, in denen (i) bereits vorher eine Überschuldung nach § 19 Absatz 2 S. 1 InsO vorlag und (ii) die Insolvenzantragsfrist des § 15 a Absatz 1 Satz 2 InsO noch nicht abgelaufen ist. Folglich können auch Unternehmen, die bereits überschuldet sind, bei denen die (bislang) sechswöchige Höchstfrist zur Stellung des Insolvenzantrags im Falle der Überschuldung (siehe hierzu 2.) aber noch nicht verstrichen ist, von der Neuregelung profitieren. Auch in diesen Fällen entfällt die Insolvenzantragspflicht. Allerdings ist zu beachten, dass dies nicht gilt, wenn zeitgleich auch der Insolvenzgrund der Zahlungs­unfähigkeit vorliegt.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Verkürzung des Prognosezeitraums schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer am 31. Dezember 2023 einen „Teil ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen“ kann. Steht nämlich für das betroffene Unternehmen weniger als vier Monate vor Ablauf der Geltungsdauer des SanInsKG bereits fest, dass es unmittelbar nach dem 31. Dezember 2023 und dem dann wieder maßgeblichen Überschuldungsbegriff des § 19 InsO überschuldet wäre, so kann dieser Umstand zu einer negativen Fortführungsprognose noch vor dem 31. Dezember 2023 führen.

Schließlich ist auf folgende Konstellation hinzuweisen: Befindet sich ein überschul­detes Unternehmen bereits in einem Insolvenzeröffnungsverfahren und würde der neue kürzere Zeitraum eine positive Prognose rechtfertigen, kann der selbst gestellte Insolvenzantrag zurückgenommen werden. Die Gesetzesänderung kann daher in diesem Punkt auf die Vergangenheit ausstrahlen.

Verlängerte Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung, § 15 a InsO

Flankierend zur besprochenen Verkürzung des Prognosezeitraums für die Über­schul­­dung verlängert sich durch die Regelung des § 4 a SanInsKG die zivil- und strafrechtlich haftungsbewehrte Höchstfrist für eine Insolvenzantragsstellung wegen Überschul­dung.

Aktuell geltende (Höchst-)Fristen zur Insolvenzantragsstellung

Nach § 15 a Abs. 1 S. 1 InsO müssen i.d.R. die Mitglieder des Vertretungsorgans einer juristischen Person, sofern der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt, ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag stellen. Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen.

Seit Inkrafttreten des SanInsFoG mit dem 1. Januar 2021 gilt für die Überschul­dung im Vergleich zum Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit eine andere Höchstfrist. Die zuvor auch für die Überschuldung geltende Höchstfrist von drei Wochen wurde damals auf sechs Wochen verlängert, um es „dem Schuldner [zu] ermöglichen, laufende Sanierungsbemühungen außerordentlich noch zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen oder gegebenenfalls eine Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder auf der Grundlage eines Eigenverwal­tungsverfahrens ordentlich und gewissenhaft vorzubereiten“ (Bundestagsdrucksache 19/24191, S. 193).

Gesetzesänderung durch das SanInsKG

Um diesem Ziel Rechnung tragen und im Hinblick auf die Energiekrise, soll die Höchstfrist für die Überschuldung mit dem SanInsKG nun – vorerst bis zum 31. Dezember 2023 – von sechs auf acht Wochen erhöht werden. Wie auch schon im SanInsFoG bleibt die Höchstfrist zur Antragstellung wegen Zahlungsun­fähigkeit unberührt.

Es bleibt zudem weiterhin beim Grundsatz des § 15 a InsO:  Die Höchstfristen dürfen nicht ausgeschöpft werden, wenn zu einem früheren Zeitpunkt bereits feststeht, dass man keine nachhaltige Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung erwarten kann. Denn wenn ersichtlich ist, dass Sanierungsbemühungen aussichtslos sind, ist der Insolvenzantrag ohne schuldhaftes Zögern, d.h. umgehend zu stellen – ansonsten drohen der Geschäftsleitung empfindliche Sanktionen. In Zweifelsfällen sollten Geschäftsführer sich hierzu beraten lassen.

Verkürzter Planungszeitraum für Eigenverwaltung und StaRUG-Verfahren

Finanzplanung in der Eigenverwaltung und nach dem StaRUG

Beim Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung handelt es sich um ein vollwertiges Insolvenzverfahren. Bei diesem bleibt die Geschäftsführung des Schuldners unter Aufsicht eines sog. Sachwalters im Amt. Anders als beim Regelverfahren verliert sie nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse.

Voraussetzung für das Eigen­verwaltungsverfahren ist eine umfassende und detaillierte „Eigenverwaltungsplanung“. Diese erfordert nach § 270 a Abs. 1 Nr. 1 InsO u.a. eine Finanzplanung (d.h. Durchfinanzierung) über sechs Monate. Kann man diesen Finanzplan nicht vorgelegen, kann man dem Antrag auf Eigen­verwaltung nur nachkommen, wenn die Durchführung des Vorhabens nach § 270 b Abs. 2 InsO im Interesse der Gläubiger liegt.

Spiegelbildlich ist auch ein solcher Finanzplan im Rahmen einer vorinsolvenzlichen Restrukturierung nach dem StaRUG und dessen § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG nötig. Wird ein solcher, einen Zeitraum von sechs Monaten umfassender Finanzplan nicht vorgelegt, so kann keine Stabilisierungsanordnung nach § 51 StaRUG erwirkt werden.

Nach beiden Vorschriften ist also ein Finanzplan vorzulegen, der den Zeitraum von bislang sechs Monaten abdeckt und eine fundierte Darstellung der Finanzierungs­quellen enthält, durch die man die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes (und die Deckung der Kosten des Verfahrens in diesem Zeitraum) sicherstellen will.

Gesetzesänderung durch das SanInsKG

Im Rahmen des Eigenverwaltungsverfahrens nach § 270 a Abs. 1 Nr. 1 InsO und bei einem Restrukturierungsvorhaben nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG soll dem Schuldner ein verkürzter Planungszeitraum von auf vier (statt zuvor sechs) Monate zugutekommen.

Licht- und Schattenseiten des SanInsKG

Die Änderungen, die der Bundestag beschlossen hat, sind zu begrüßen. Mit der Neujustierung der Planungs- und Prognosezeiträume im Insolvenzrecht reagiert er angemessen auf die aktuell angespannte Marktsituation. Aus Gläubigerschutzgesichtspunkten erscheint v.a. die Verlänger­ung der Höchstfrist zur Antragsstellung wegen äußerer Marktumstände vertretbar – und im Hinblick auf die hohe Komplexität bei der Aufstellung einer Fortführungsprognose auch angemessen.

Allerdings birgt das SanInsKG auch Risiken. Ziel des Gesetzes ist es, Unternehmen mit einem „gesunden Kern“ den Fortbetrieb zu ermöglichen. Man kann jedoch wegen des fehlenden Kausalitätserfordernisses nicht ausschließen, dass zeitgleich „ungesunde“ und unrentable Geschäftsbetriebe hiervon mitprofitieren und sich in die ohnehin schon vermutlich größere Zahl von „Zombie-Unternehmen“ einreihen.

Das würde nicht nur negative Folgen für den Wettbewerb bedeuten, sondern auch zu einer (weiteren) zeitlichen Verschiebung der Insolvenzen führen. Diese Befürchtung relativiert sich aber: Der selten (allein) einschlägige Insolvenzgrund der Überschuldung ist betroffen und was die Zahlungsunfähigkeit anbelangt, bleibt es bei den bisherigen Regeln zur Insolvenzantragsstellung.

Zu bedenken bleibt: Der Gesetzesvorschlag eröffnet Tendenzen in Richtung einer weiteren künstlichen Verschiebung einer aufkommenden Insolvenzwelle. Bei dieser scheint es, dass sie angesichts der wirtschaftlichen Situation nur verzögert werden kann – jedoch nicht aufgehalten.

Author

Artur Swierczok ist Counsel bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Author

Tim Kerim Hosgör ist Associate bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern