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Am 6. April 2022 legte die neue Bundesregierung ein umfangreiches Energiesofortmaßnahmenpaket vor – bereits rund 100 Tage nach Amtsantritt. Dieses sog. Osterpaket enthält viele Gesetzesänderungen, die den Ausbau der erneuerbaren Energien zu Land und auf See beschleunigen sollen. Ziel ist es, auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz anzupassen („EEG 2023„).

Das federführende Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK„) bewertet die vorgesehenen Neuerungen als „größte Beschleunigungsnovelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes seit dem Bestehen“ im Jahr 2000.

In einer Zeit, in der Worte wie „Klimaneutralität“ und „Energiesouveränität“ zum täglichen Diskurs gehören, lastet ein enormer Transformationsdruck auf dem Energiesektor. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an das EEG 2023. Das Gesetz soll bereits am 1. Januar 2023 in Kraft treten.

Was ändert sich?

ZielEEG 2021EEG 2023
Klimaneutrale StromversorgungBis 2050Bis 2035
Ausbauziel: Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien im Jahr 203065 %80 %

Ambitioniert – Klimaneutrale Stromversorgung bis 2035

Während die aktuelle Fassung des EEG 2021 eine klimaneutrale Stromversorgung bis 2050 avisiert, soll die Stromversorgung nach dem zukünftigen EEG 2023 bereits 2035 – schon in 13 Jahren – weitgehend klimaneutral sein. Somit entspricht Deutschland der Empfehlung der Internationalen Energieagentur (IEA) und folgt anderen OECD-Staaten wie den USA und dem Vereinigten Königreich. Diese Staaten haben sich ebenfalls der treibhausgasneutralen Stromversorgung bis 2035 verschrieben.

Neues Ausbauziel: Bis 2030 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien

Der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien am deutschen Bruttostromverbrauch soll im Jahr 2030 80 Prozent (statt bisher 65 Prozent) umfassen. 2021 betrug er nur ca. 42 Prozent. Folglich muss er bis 2030 noch fast verdoppelt werden.

Eine besondere Herausforderung stellt der stetig ansteigende Strombedarf dar. Dieser wird wegen der zunehmenden Elektrifizierung von Industrieprozessen, Wärme und Verkehr weiter wachsen. Bei einem angenommenen Bruttostromverbrauch von 750 TWh im Jahr 2030 müssten auf Basis der aktuellen Pläne also 600 TWh aus erneuerbaren Energien geschöpft werden, um das 80 Prozent-Ziel zu erreichen – 2021 waren es nur ca. 240 TWh

Überragendes öffentliches Interesse am Betrieb von Erneuerbare-Energien-Anlagen

Auffällig ist bei der Novelle die Betonung der „Besondere[n] Bedeutung der erneuerbaren Energien“ in § 2 der geplanten Fassung des EEG 2023. Danach liegen die Errichtung und der Betrieb von Erneuerbare-Energien-Anlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit.

Weiterhin ist dort geregelt, dass die Erneuerbaren Energien temporär – bis die Stromversorgung im Bundesgebiet nahezu klimaneutral ist – als vorrangiger Belang in die Schutzgüterabwägungen eingebracht werden sollen.

Künftig müssen staatliche Behörden bei Abwägungsentscheidungen also dem hohen Gewicht der erneuerbaren Energien gegenüber kollidierenden Rechtsgütern Rechnung tragen. Dadurch entfaltet die besondere Bedeutung der erneuerbaren Energien Strahlkraft über den Energiesektor hinaus. Besonders im Bauplanungsrecht soll dies relevant werden. Zudem fällt der Ausbau erneuerbarer Energien unter das in Art. 20a des Grundgesetzes verankerte Klimaschutzgebot, sodass ihm nur öffentliche Interessen mit vergleichbarem Rang entgegengesetzt werden können.

Diese Auslegungsregel trägt – auch im Zeichen der aktuellen geopolitischen Situation – der zentralen Bedeutung erneuerbarer Energien Rechnung, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dementsprechend wertet der Entwurf des EEG 2023 Energiesouveränität als eine „Frage der nationalen und europäischen Sicherheit„.

Klimawandel, Energiekrise, Geopolitik

Hintergrund für die EEG 2023-Novelle: die Verpflichtung zum 1,5-Grad-Klimaschutz-Pfad im Rahmen des Übereinkommens von Paris. So ist es angesichts der energiewirtschaftlichen Implikationen im Hinblick auf die Situation Ukraine-Russland zunehmend bedeutend, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, um mehr Energiesouveränität sicherzustellen. Demgemäß will man der Energiekrise so schnell und effektiv wie möglich entgegenwirken. Zudem wird es auch Anpassungen an EU-Sekundärrecht und an die Leitlinien der Europäischen Kommission für Klima-, Umwelt- und Energiebeihilfen geben.

Durch folgende Maßnahmen treibt die Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien im EEG 2023 voran:

Ausschreibungsmengen anpassen

Die Ausschreibungsmengen richten sich nun nach dem neuen Ausbauziel für 2030.

TechnologieSteigerung der AusbauratenZiel für 2030
Solarenergie22 GW pro Jahr215 GW  
Windenergie an Land10 GW pro Jahr115 GW 
Windenergie auf See2023 bis 2026: 5-7 GW pro Jahr, 2027 bis 2030: 4 GW pro Jahr30 GW

EEG-Umlage refinanzieren

Um angesichts des enormen Anstiegs von Stromkosten die Stromverbraucher zu entlasten, senkt die Koalition die EEG-Umlage schon zum 1. Juli 2022 mit dem EEG-Umlage-Entlastungsgesetz auf null. Entsprechend müssen Stromlieferanten die Strompreise senken.

Somit kommt das Ende der EEG-Umlage über den Strompreis ein halbes Jahr früher als geplant. Der Koalitionsvertrag sah den Wegfall erst ab Januar 2023 vor. Bundeszuschüsse aus dem Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ („EFK„) auf das EEG-Konto der Übertragungsnetzbetreiber gleichen die Differenzkosten von 6,6 Milliarden Euro für das zweite Halbjahr 2022 aus.

Wegen der extremen gestiegenen Beschaffungskosten für Strom sind allerdings keine Entlastungseffekte zu erwarten.

Besondere Ausgleichsregelung im neuen Energie-Umlagen-Gesetz („EnUG“)

Ergibt sich nach dem EEG 2023, dem KWKG 2023 oder dem EnWG ein Finanzierungsbedarf, greift zukünftig das neue Energie-Umlagen-Gesetz („EnUG„) . Dieses enthält erstens Bestimmungen zum Ausgleich des Finanzierungsbedarfs der Energiewende durch staatliche Zahlungen, zweitens durch die Erhebung von Umlagen auf die Netzentnahme und drittens zur Umlagenbegrenzung durch die Besondere Ausgleichsregelung sowie weitere Umlageprivilegien.

Umlagen werden nur noch für die Entnahme von Strom aus dem öffentlichen Netz erhoben. In anderen Worten heißt das, dass auf Eigenverbräuche und Direktbelieferungen hinter dem Netzverknüpfungspunkt künftig keine Umlagen anfallen. Folglich gewinnt die Eigenversorgung deutlich an Attraktivität. 

Bisher enthielten §§ 63 ff. EEG 2021 die Besondere Ausgleichsregelung, um staatlich induzierte Strompreisbestandteile für stromintensive Letztverbraucher zu entlasten. Nun sollen diese in die Regelungen der § 28 ff. i.V.m. §§ 30-35 EnUGüberführt werden. Nach Wegfall der EEG-Umlage bezieht sie sich nur noch auf die KWKG-Umlage und die Offshore-Netzumlage.

Um das Antragsverfahren zu vereinfachen, soll keine Stromkostenintensität mehr als Eintrittsvoraussetzung nötig sein. Im Gegenzug müssen Unternehmen künftig ein Energiemanagementsystem betreiben und Energieeffizienz nach gesetzlich festgelegten Kriterien nachweisen. Zudem ändert sich die Liste der beihilfefähigen Branchen.

Einzelmaßnahmen für Solar- und Windenergie an Land

Im Bereich der Solarenergie werden neue Flächen ausgewiesen. Mit den sogenannten „Moor-PV“ – Photovoltaikanlagen auf wiedervernässten Mooren – entsteht ein neues Segment. Innovative Solarenergie wie „Agri-PV“ werden in die Freiflächenausschreibungen integriert und erhalten somit eine dauerhafte Perspektive. Zudem werden die Rahmenbedingungen für den Ausbau von Dach- und Freiflächenanlagen optimiert.

Auch bei der Windenergie sind punktuelle Einzelmaßnahmen vorgesehen, wenn auch die wesentlichen Hemmnisse außerhalb des EEG abgebaut werden.

Finanzielle Beteiligung von Kommunen ausweiten

Kommunen werden an Wind- und Solarprojekten mehr finanziell beteiligt. Insbesondere wird die finanzielle Beteiligung in der sonstigen Direktvermarktung auch bei bereits bestehenden Windenergieanlagen an Land ermöglicht.

Biomasse, Innovationen und Speicher fördern

Die Förderung für Biomasse, Innovationen und Speicher wird weiterentwickelt: So sollen v.a. innovative EE-Hybrid-Kraftwerke mit lokaler Speicherung auf Basis von Wasserstoff gefördert und neue Biomethan- und KWK-Anlagen auf Wasserstoff ausgerichtet werden („H2-ready“).

Förderregime weiterentwickeln

Eine Verordnungsermächtigung ermöglicht es, künftig weitere Regelungsinstrumente wie Differenzverträge („Contracts for Difference“) einzuführen, die neben oder statt der Marktprämie als Finanzierungsinstrument der Energiewende in Frage kommen.

Ausbau von Offshore-Windanlagen fördern und beschleunigen – Novelle des WindSeeG

Ein wichtiger Faktor, um die Klimaziele bis 2030 und darüber hinaus zu erreichen, bleibt das Windenergie-auf-See-Gesetz, das maßgebliche Gesetz für Ausschreibung, Bau und Förderung der Offshore-Windanlagen. Die Bundesregierung gab ein Ausbauziel von mindestens 30 GW installierter Leistung bis 2030 aus. Dies würde einem Zuwachs von 22,3 GW im Vergleich zum Ausbaustand von 7,8 GW installierter Leistung im Jahr 2021 entsprechen. Bis zu den Jahren 2035 und 2045 sollen die Ausbauziele auf mindestens 40 bzw. 70 GW erhöht werden.

Für einen beschleunigten Ausbau bis 2030 erachtet die Bundesregierung zwei Mittel als wesentlich: Einerseits sind Verfahren zu verkürzen und zu vereinfachen, andererseits ist die Flächenkulisse zu vergrößern.

Verfahren verkürzen

Um Verfahren zu verkürzen, sieht der Gesetzesentwurf Folgendes vor: Nachdem ein Unternehmen die Antragsunterlagen eingereicht hat, sollen max. 18 Monate vergehen, bis die Planfeststellungsbeschlüsse nach § 69 Abs. 4 WindSeeG 2023 für Offshore-Windanlagen erteilt werden. Flankierend hierzu legte die Koalition fest, dass der Ausbau der Offshore-Windanlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der Versorgungssicherheit dient.

Zudem sollen nun nicht mehr nur zentral voruntersuchte Flächen ausgeschrieben werden, sondern auch nicht zentral voruntersuchte Flächen. Für erstere führte die Bundesregierung ein Plangenehmigungsverfahren ein. Dieses tritt an die Stelle des Planfeststellungsverfahren und soll den Prozess verkürzen.

Ausschreibungsdesign

Nicht nur Planung und Bau sind maßgeblichen Änderungen unterworfen, sondern auch das Ausschreibungsdesign. Unterschieden wird das Ausschreibungsverfahren nun danach, ob es sich um eine zentral voruntersuchte oder nicht zentral voruntersuchte Fläche handelt.

Bei regulären, zentral voruntersuchten Flächen sind die viel diskutierten Contracts-for-Difference (vgl. §§ 46 ff. WindSeeG 2023) mit einer Laufzeit von 20 Jahren anzuwenden. Den Zuschlag erhält der Bieter mit dem geringsten anzulegenden Wert.

Bei den nicht zentral voruntersuchten Flächen werden die Zuschläge nach qualitativen Kriterien vergeben, wobei der Bewerber mit der höchsten vergebenen Punktzahl den Zuschlag erhält (vgl. §§ 53 ff. WindSeeG 2023). Relevante Kriterien für die Bewertung sind u.a. der Energieertrag, die umfassendste Vermarktung des Offshore-Stroms über Power Purchase Agreements, die Vereinbarkeit mit Natur- und Artenschutz und die Wiederverwertbarkeit der an den Anlagen verbauten Rotorblätter.

Weitere Verfahrenserleichterungen

Die Verfahrenserleichterungen erfassen v.a. auch Bau und Genehmigung der Offshore-Anbindungsleitungen. Übertragungsnetzbetreiber sollen künftig Offshore-Anbindungsleitungen umgehend beauftragen, sobald die auszuschreibende Fläche in den Flächenentwicklungsplan einging.

Dies soll Verzögerungen bei der infrastrukturellen Anbindung der Offshore-Windenergieanlagen vermeiden und die Auftragsvergabe um mehrere Jahre beschleunigen. Auch die Nutzung anderer Energien und Energieträger i.Z.m. Offshore-Windenergieanlagen wird verbessert: Umfasst sind nicht nur die Anbindungsleitungen, sondern auch Wasserstoffpipelines, die an den Anlagen erzeugten grünen Wasserstoff an Land transportieren können.

Wie geht es weiter?

Die geplanten Gesetzesänderungen werden in den kommenden Jahren drastisch den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen und damit eine wesentliche Transformation des Energiesektors hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung anregen. Dementsprechend sehen wir: Die Materie ist stets im Wandel: Eine nächste EEG-Novelle ist bereits für 2023 geplant – und hier stehen v.a. Verbesserungen beim Netzanschluss im Fokus.

Author

Claire Dietz-Polte ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Author

Jasmin Mayerl ist Associate bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern