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Vom 1. März bis 31. Mai 2022 finden in vielen Betrieben die regelmäßigen Betriebsratswahlen statt. Zum 18. Juni 2021 trat das Betriebsrätemodernisierungsgesetz in Kraft. Dieses änderte mehrere Wahlvorschriften und rechtliche Rahmenbedingungen für die Betriebsratsarbeit. Eine Reform der Wahlordnung steht kurz bevor. Einen ersten Überblick, welche Neuerungen und Vorgaben Unternehmen beachten sollten, geben wir in diesem Blog-Beitrag.

In weiteren Beiträgen unserer Reihe zu den Betriebsratswahlen 2022 beleuchten wir einige Themenschwerpunkte näher. Dazu zählen z.B. Arbeitgeberpflichten i.Z.m. den Betriebsratswahlen und die Festlegung des richtigen Wahlverfahrens.

Betriebsrätemodernisierungsgesetz soll Betriebsräte stärken

Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) werden in Deutschland rund die Hälfte der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft durch Mitarbeitervertretungen repräsentiert. Mit ca. 90 Prozent ist der Anteil in Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern überproportional hoch. Hingegen werden in Betrieben mit 5 bis 50 Beschäftigten nur 9 Prozent der Arbeitnehmer von Betriebsräten vertreten.

In Westdeutschland besteht ein Betriebsrat überhaupt nur in 9 Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe. In Ostdeutschland ist der Anteil mit 10 Prozent minimal höher. Betriebsratsfähig sind Betriebe mit fünf wahlberechtigten und drei wählbaren Mitarbeitern.

Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz will der Gesetzgeber es erleichtern und fördern, Betriebsräte zu gründen, besonders in kleinen Betrieben.

Vereinfachtes Wahlverfahren ausgeweitet

Um Betriebsratsgründungen zu fördern, hat der Gesetzgeber die Wahlen erleichtert. Deshalb weitete er vor allem den Anwendungsbereich des „vereinfachten“ Wahlverfahrens aus. Dieses gilt bei den nächsten Betriebsratswahlen verpflichtend in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmern – statt bisher 50.

Bei 101 bis 200 Arbeitnehmern im Betrieb können Arbeitgeber und Wahlvorstand vereinbaren, ein vereinfachtes Wahlverfahren anzuwenden. Erfahren Sie mehr über die Voraussetzungen und Durchführung der Betriebsratswahlen im vereinfachten und „normalen“ Verfahren in diesem Blog-Beitrag.

Weitere Hürden gesenkt – aber keine Online-Wahlen des Betriebsrats

Zusätzlich hat der Gesetzgeber mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz das Alter für das aktive Wahlrecht auf 16 Jahre gesenkt. Doch wählbar sind auch weiterhin nur volljährige Beschäftigte. Auch mit der Verringerung der Anzahl nötiger Stützunterschriften für Wahlvorschläge zur Betriebsratswahl will der Gesetzgeber die Betriebsratsgründung weiter vereinfachen.

In Kleinstbetrieben mit bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern bedarf es danach gar keiner Stützunterschriften mehr. Erleichterungen, um Stützunterschriften in Pandemiezeiten einzuholen, hat der Gesetzgeber jedoch nicht vorgesehen.

Künftig können (auch) Wahlvorstände unter bestimmten Voraussetzungen Sitzungen virtuell mittels Video- und Telefonkonferenzen durchführen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung auf dem langen Weg zur „Arbeitswelt 4.0“.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Corona-Pandemie wäre es wünschenswert, den Betriebsparteien vor den anstehenden Wahlen 2022 größere Freiheiten einzuräumen als bisher. Allerdings entschied sich der Gesetzgeber weiterhin gegen die Online-Wahl von Betriebsräten. Auch die Briefwahl ist nur ausnahmsweise möglich. Daran wird sich auch durch die Reform der Wahlordnung nichts ändern. Dies werden wir ebenfalls in einem der kommenden Beiträge näher beleuchten.

Zusätzlicher Kündigungsschutz vor Betriebsratswahlen

Bereits bisher genießen gewählte Betriebsratsmitglieder, Wahlbewerber und Mitglieder des Wahlvorstandes besonderen Kündigungsschutz.

Um Arbeitnehmer stärker zu ermutigen, Betriebsräte zu gründen, führte der Gesetzgeber einen zusätzlichen Schutz im Vorfeld der Betriebsratswahlen ein: Statt bislang drei genießen künftig bis zu sechs Arbeitnehmer Sonderkündigungsschutz, die in einem Betrieb zu einer Betriebsratswahl einladen oder die Bestellung eines Wahlvorstands beantragen.

Neben diesen Initiatoren von Betriebsratswahlen schützt der Gesetzgeber nun auch Arbeitnehmer, die Vorbereitungshandlungen zur Gründung eines Betriebsrats treffen. Sofern sie darüber eine durch einen Notar beglaubigte Erklärung abgeben, soll eine ordentliche Kündigung aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen ausgeschlossen sein – bis zur Einladung zur Betriebsratswahl und längstens für drei Monate. Dieser neue Kündigungsschutz vor den Betriebsratswahlen ist zahlenmäßig nicht begrenzt.

Zu den vorbereitenden Handlungen vor einer möglichen Betriebsratswahl sollen z.B. schon Gespräche mit Kollegen über eine Betriebsratsgründung oder die Kontaktaufnahme zu einer Gewerkschaft zählen. Inwieweit sich beglaubigte Erklärungen eignen, um Missbrauch Einhalt zu gebieten, erscheint zweifelhaft. Näheres wird die Praxis zeigen. Dagegen erlaubt sind weiterhin betriebsbedingte Kündigungen und außerordentliche fristlose Kündigungen aus wichtigem Grund.

Größere Rechtssicherheit für gewählte Betriebsräte

Zusätzliche Sicherheit genießen gewählte Betriebsräte, seitdem das Betriebsrätemodernisierungsgesetz in Kraft trat, durch folgende Neuregelungen: Wahlberechtigte können Betriebsratswahlen wegen Fehlern in der Wählerliste nur noch anfechten, wenn sie gegen die Liste zuvor Einspruch eingelegt haben. Der Arbeitgeber kann die Betriebsratswahlen nicht anfechten, wenn Fehler auf seinen Angaben zu den Wahlberechtigten beruhen.

Höhere Attraktivität von Betriebsräten durch weitere Rechte und (etwas) weniger Bürokratie?

Außerdem will der Gesetzgeber die Gründung neuer Betriebsräte attraktiver machen, indem er neue Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats schafft und einige bürokratischen Hürden der Betriebsratsarbeit (vorsichtig) senkt.

Danach gelten für Betriebsräte nun folgende neue Regelungen und zusätzlichen Rechte:

  • Unter bestimmten Bedingungen kann der Betriebsrat Sitzungen als Video- und Telefonkonferenz durchführen. Hierüber entscheidet er selbst. Präsenzsitzungen sollen weiterhin der Regelfall bleiben.
  • Betriebsvereinbarungen können die Betriebsparteien künftig mit qualifizierter elektronischer Signatur abschließen. Originalunterschriften für Arbeitgeber und Betriebsrat sind kein Muss mehr. Diese Regelung gilt ausdrücklich auch für den Abschluss von Interessenausgleich und Sozialplan.
  • Klargestellt wurde, dass auch bei einer Datenverarbeitung durch den Betriebsrat allein der Arbeitgeber Verantwortlicher i.S.d. Datenschutzes ist. Lesen Sie dazu unseren bald erscheinenden Blog-Beitrag zur Rolle des Betriebsrats nach der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) und Handlungsempfehlungen für Unternehmen.
  • Der Gesetzgeber weitete die ohnehin schon sehr weitgehenden Rechte von Betriebsräten i.Z.m. IT-Systemen zusätzlich aus: Bei der Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) gilt die Heranziehung eines Sachverständigen für die Betriebsratsarbeit immer als erforderlich. Entsprechend muss der Arbeitgeber dann anfallende Kosten und Honorare tragen, soweit diese verhältnismäßig sind.
  • Ausdrücklich geregelt hat der Gesetzgeber ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, wenn es darum geht, mobile Arbeit auszugestalten – gemeint ist damit jede Arbeitsleitung außerhalb des Betriebs unter Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnik. Danach können Betriebsräte über das „Wie“ von mobiler Arbeit mitbestimmten. Dagegen bleibt es Sache des Arbeitgebers, ob er mobile Arbeit einführen möchte (das „Ob“). Schon bisher musste der Arbeitgeber spezielle Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats berücksichtigen bei der Einführung von Homeoffice und mobiler Arbeit.
  • Weitere neue Beteiligungsrechte von Betriebsräten betreffen u.a. die Verwendung von KI bei Einstellungen und Auswahlrichtlinien sowie Fragen zur Berufsbildung.

Grundlegende Reform der Betriebsverfassung im Digitalzeitalter steht weiterhin aus

Werden die Erleichterungen bei den Wahlen – verbunden mit der Stärkung einiger Rechte von Betriebsräten – zu den Neugründungen von Betriebsräten in kleineren Betrieben führen, wie sich das der Gesetzgeber erhofft? Das wird sich zeigen. Eine grundlegende Reform der Betriebsverfassung vor dem Hintergrund der Digitalisierung von Arbeitsprozessen auf dem Weg in die „Arbeitswelt 4.0“ lässt weiterhin auf sich warten.

Dagegen könnte es die Arbeit des Betriebsrats und die Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber erheblich erleichtern, wenn die Betriebsparteien weitere Möglichkeiten zu virtuellen und generell flexibleren Entscheidungsprozessen erhalten.

Sind sich Wahlvorstand und Arbeitgeber hierüber einig, spricht aus unserer Sicht z.B. wenig gegen eine generelle Briefwahl, sofern sichergestellt ist, dass die Vertraulichkeit der Stimmabgabe gewahrt ist.

Die nächsten regelmäßigen Betriebsratswahlen im Frühjahr 2022 wären eine gute Gelegenheit, den Betriebsparteien größere Freiheiten einzuräumen.

Author

Katja Häferer ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Felix Diehl
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Felix Diehl ist Senior Associate bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern