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Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) veröffentlichte am 24. Januar 2020 seinen Referentenentwurf der 10. GWB-Novelle – auch „GWB-Digitalisierungsgesetz“ genannt. Damit will das BMWi das deutsche Kartellrecht an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters anpassen. Anlass der Neuregelung war außerdem, die sog. ECN-Plus-Richtlinie (RL 2019/1) umzusetzen. Ein Überblick über die wichtigsten geplanten Neuregelungen.

Änderungen der Missbrauchsaufsicht

Intermediationsmacht eines Unternehmens berücksichtigen

Ist ein Unternehmen marktbeherrschend? Um diese Frage zu beantworten, soll künftig – neben der Angebots- und Nachfragemacht – als dritte Kategorie auch dessen Intermediationsmacht berücksichtigt werden.

Ziel ist es, v.a. der steigenden Bedeutung von Plattformen als Vermittler besser Rechnung zu tragen. Denn solche Intermediäre haben eine wichtige Rolle, den Zugang zu Absatz- oder Beschaffungsmärkten für andere Unternehmen zu ermöglichen.

Neuer Missbrauchskatalog für Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung

Der neu eingefügte § 19a RefE-GWB soll dem Bundeskartellamt (BKartA) ermöglichen, die überragende marktübergreifende Bedeutung eines Unternehmens für den Wettbewerb festzustellen.

Es können aber nur Unternehmen Normadressat sein, die ihren Schwerpunkt im Bereich digitaler Geschäftsmodelle haben, z.B. in Form von digitalen Plattformaktivitäten. Folgende Maßnahmen kann das BKartA ergreifen, wenn es festgestellt hat, dass Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat:

  • Das BKartA kann Plattformanbieter untersagen, auf der Plattform Angebote von Wettbewerbern und eigene Angebote, etwa bei der Darstellung der Suchergebnisse, ungleich zu behandeln ( self-preferencing);
  • Es kann den Normadressaten verbieten, Wettbewerber auf einem Markt, auf dem sie ihre Stellung schnell ausbauen können, zu behindern;
  • Es kann außerdem den Normadressaten verbieten, Daten, die auf einem beherrschten Markt gesammelt wurden, auf einem anderen, nicht beherrschten Markt zu nutzen, um andere Wettbewerber unbillig zu behindern;
  • Weiterhin kann das BKartA Normadressaten untersagen, die Interoperabilität von Produkten oder die Portabilität von Daten zu erschweren und damit den Wettbewerb zu behindern;
  • Schließlich kann es Plattformunternehmen verwehren, auf ihre Leistung bezogene Informationsdefizite zu schaffen, zu verfestigen oder zu verschärfen, z.B. was Nutzungsdaten, anfallende Kosten, Klick-Verhalten oder Ranking-Kriterien betrifft.

Revolutionär ist der Umstand, dass die Missbrauchstatbestände als widerlegliche Vermutung geregelt werden sollen. Daher darf das BKartA sie untersagen, ohne dass es die wettbewerbsschädliche Auswirkung der Verhaltensweise im Einzelfall prüfen muss.

Kurz: Es reicht also, dass das BKartA die überragende marktübergreifende Bedeutung des Unternehmens für den Wettbewerb feststellt und das Verhalten untersagt.

KMU-Vorbehalt in § 20 GWB streichen

Außerdem sieht der Entwurf vor, den Anwendungsbereich des Konzepts der relativen Marktmacht zu erweitern. Künftig sollen sich nicht nur kleine und mittlere Unternehmen, sondern auch Großkonzerne gegen Unternehmen wehren können, von denen sie abhängig sind, selbst wenn letztere nicht marktbeherrschend sind.

Das betrifft v.a. Konstellationen, in denen zwischen den Unternehmen eine deutliche Asymmetrie besteht – z.B., wenn eine Beendigung der Vertragsbeziehung für einen Vertragspartner deutlich gravierendere Folgen hätte als für den anderen.

Liegt relative Marktmacht vor, ist das relativ marktmächtige Unternehmen an die Missbrauchsregeln gebunden, z.B. das Behinderungs- oder Diskriminierungsverbot.

Einstweilige Maßnahmen für das BKartA erleichtern

Der Referentenentwurf möchte zudem die Eingriffsvoraussetzungen für das BKartA zum Erlass einstweiliger Maßnahmen absenken, um den Wettbewerb früh vor Vermachtung zu schützen.

Künftig soll es ausreichen, dass eine Zuwiderhandlung i.S.v. § 32 GWB überwiegend wahrscheinlich erscheint und die Anordnung zum Schutz des Wettbewerbs oder wegen einer unmittelbar drohenden, schwerwiegenden Beeinträchtigung eines anderen Unternehmens nötig ist. Für das BKartA stellt dies eine erhebliche Beweiserleichterung dar.

Wichtige Änderungen im Bereich der Fusionskontrolle

Der Referentenentwurf enthält auch Erleichterungen im Bereich der Fusionskontrolle, die teilweise zu begrüßen sind. Für die Frage, ob ein Zusammenschluss anzumelden ist, ist die sog. zweite Inlandsumsatzschwelle in § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB zu prüfen. Diese soll von fünf Millionen Euro auf 10 Millionen Euro angehoben werden.

Auch sollen Zusammenschlüsse künftig nicht mehr untersagt werden können, wenn ein Bagatellmarkt mit einem Umsatzvolumen von bis zu 20 Millionen Euro in Deutschland (statt bisher 15 Millionen Euro) betroffen ist. Bei aufwendigen Hauptprüfverfahren (sog. Phase II) soll die Prüfungsfrist von vier auf fünf Monate verlängert werden. Die Gesamtdauer aller Fristverlängerungen soll einen Monat nicht übersteigen dürfen.

Außerdem sieht § 39a GWB-RefE eine grundlegende Neuerung im Bereich der Fusionskontrolle vor. Danach soll das BKartA Unternehmen in Zukunft durch Verfügung auffordern können, jedes Zusammenschlussvorhaben in einem oder mehreren Wirtschaftszeigen beim BKartA anzumelden, sofern

  • das Unternehmen im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von mehr als 250 Millionen Euro erzielt hat und
  • „Anhaltspunkte bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der Wettbewerb im Inland in den genannten Wirtschaftszweigen eingeschränkt werden kann.“

Hiervon soll jedoch wiederum eine Rückausnahme bestehen, wenn das zu erwerbende Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von weniger als zwei Millionen Euro oder weniger als zwei Drittel seiner Umsatzerlöse im Inland erzielt hat.

Zudem soll die Anmeldepflicht per Verfügung nur für drei Jahre ab Bestandskraft der Entscheidung gelten. In der Verfügung sind auch die relevanten Wirtschaftszweige anzugeben.

Die Begründung: Durch sukzessive Übernahmen, die mangels Erreichen der Umsatzschwellen nicht anmeldepflichtig sind, könne es dennoch zu einer Marktkonzentration kommen. Durch das neue Instrument soll das BKartA leichteren Zugriff auf solche Entwicklungen haben.

Hilfe vom BKartA bei Kooperationsvorhaben

Der Referentenentwurf soll auch mehr Rechtssicherheit bei Kooperationsvorhaben schaffen. So soll das Selbsteinschätzungsprinzip durchbrochen werden. Nach diesem Prinzip müssen Unternehmen selbst prüfen, ob die geplante Kooperation kartellrechtskonform ist.

Unternehmen sollen ihre Kooperationsvorhaben auf Antrag vom BKartA künftig rechtlich bewerten lassen können. Innerhalb von sechs Monaten soll ein Anspruch auf Bewertung des Kooperationsvorhabens bestehen, wenn ein „erhebliches rechtliches und wirtschaftliches Interesse“ an der Bewertung vorliegt. Laut Referentenentwurf sei das v.a. bei „komplexen neuen Rechtsfragen“ und „außergewöhnlich hohem Investitionsaufwand“ der Fall.

Die Neuregelung möchte Unternehmen im digitalen Umfeld innovationsfördernde Kooperationsmodelle erleichtern. Für Unternehmen dürfte die Regelung zu mehr Rechtssicherheit führen, jedoch ggf. auch das Bußgeldrisiko erhöhen, wenn sie sich gegen einen Antrag auf Bewertung entscheiden.

ECN-Plus-Richtlinie“ (EU 2019/1) umsetzen

Der Entwurf sieht außerdem im Zuge der Umsetzung der „ECN-Plus-Richtlinie“ (EU) 2019/1 eine grundlegende Neustrukturierung der §§ 81 ff. GWB vor.

Die Bonusbekanntmachung bzw. das Kronzeugenprogramm und die Bußgeldleitlinien des BKartA sollen im GWB kodifiziert werden. Das soll geschehen, indem man die Abschnitte „Bußgeldvorschriften“ (§§ 81 bis 81g GWB RefE), „Kronzeugenprogramm“ (§§ 81h bis 81l GWB RefE) und „Bußgeldverfahren“ (§§ 81m bis 86 GWB RefE) einführt. Weitere Änderungen betreffen u.a. das Verfahren und die Ermittlungsbefugnisse des BKartA (§§ 54 ff. GWB).

Interessant sind v.a. die geplanten Neuregelungen zur Zumessung der Geldbuße in § 81d GWB RefE. Hier soll es eine umfassende, nicht abschließende Aufzählung der Kriterien geben.

Z.B. soll klargestellt werden: Bei der Bußgeldberechnung sind Art und Ausmaß der Zuwiderhandlung und besonders die Größenordnung der mit der Zuwiderhandlung in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang stehenden Umsätze zu berücksichtigen.

Das BMWi möchte damit die Problematik der sog. Verböserung eindämmen. Die deutschen Gerichte kamen bisher bei der Berechnung des Bußgeldes oft zu deutlich höheren Bußgeldern als das BKartA. Denn sie sind nicht an die Bußgeldleitlinien des BKartA gebunden. Vor Gericht gilt derzeit allein die gesetzliche 10 Prozent-Umsatzobergrenze. Es wird sich zeigen, ob das wirklich mit dieser Gesetzesänderung gelingen wird.

Es ist zu begrüßen, dass effektiv ausgestaltete Compliance-Maßnahmen als Aspekt eines positiven Nachtatverhaltens zugunsten der Unternehmen in die Bußgeldberechnung einfließen dürfen.

Bedauerlicherweise fehlt eine Regelung, wonach Compliance-Maßnahmen, die Unternehmen vor oder während des Tatzeitraums treffen, positiv berücksichtigt werden können.

Chancen und Risiken

Der Referentenentwurf des BMWi enthält einerseits erfreuliche Erleichterungen für Unternehmen im Bereich der Fusionskontrolle und für Kooperationsvorhaben. Besonders zu begrüßen ist der Plan, die zweite Inlandsumsatzschwelle anzuheben.

Auch der Anspruch auf zeitnahe Bewertung von Kooperationsvorhaben dürfte für mehr Rechtssicherheit für Unternehmen sorgen.

Was die geplanten Änderungen in Bezug auf die Missbrauchsaufsicht und den § 39a GWB RefE im Bereich der Fusionskontrolle betrifft, bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber diese wirklich umsetzen wird – und wenn ja, inwieweit und wie das BKartA von diesen Neuregelungen in der Praxis Gebrauch machen wird.

Die Regelungen, z.B. zum Datenzugang oder zur Datenportabilität und -interoperabilität, werfen komplexe Fragen auf. Mit diesen müssten sich künftig das BKartA und die Gerichte in aufwendigen Verfahren auseinandersetzen.

Author

Jan Kresken ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern