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Die Arbeitswelt 4.0 bedeutet für Arbeitnehmer mehr Freiheiten und ermöglicht Unternehmen, Arbeitsabläufe zu optimieren und die Unternehmensleitung in Matrixstrukturen zu entlasten.

Anfang Mai 2017 startete in den Kinos die Werbekampagne für Arbeiten 4.0 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Andrea Nahles stellt die Frage, wie wir die Arbeitswelt von morgen gestalten wollen. Im Fokus stehen die Digitalisierung und damit einhergehende Chancen und Risiken für die Arbeitswelt.

In den Werbespots des BMAS führt die digitale Revolution vor allem zu mehr Freiheit. So ist es dem jungen Vater nun vergönnt, an der Geburtstagfeier seines Sohnes teilzunehmen und den grünen Dinosaurier persönlich zu übergeben, den er gerade noch im Aufzug seines Arbeitgebers aufgeblasen hat. Sein Chef kommentiert das mit den Worten: „So einen Vater hätte ich gerne gehabt.“

Arbeitswelt 4.0 in multiagierenden Konzernen

Der Einsatz moderner Telekommunikationsmittel prägt schon heute den Arbeitsalltag vieler Arbeitnehmer. Arbeitsergebnisse werden anhand von Google Docs online diskutiert, Team-Meetings und Mitarbeiterschulungen finden zunehmend im Rahmen von Video- und Telefonkonferenzen statt. Diese Arbeitssituation findet sich oft in multinational agierenden Großkonzernen, die zunehmend als Matrixorganisationen aufgebaut sind.

Die Matrix ist in der Regel unternehmensübergreifend, entlang der konzernweiten Funktions- und Produktionsbereichen strukturiert. Das fachliche und disziplinarische Weisungsrecht sind voneinander getrennt. Die Folge: Führungsaufgaben werden dezentralisiert und für bestimmte Bereiche bei unterschiedlichen Vorgesetzten gebündelt. Berichtslinien verlaufen regelmäßig über die Grenzen der einzelnen Konzerngesellschaften hinweg.

Unternehmen organisieren sich vermehrt in Matrixstrukturen

Als betriebswirtschaftliches Organisationskonzept wurden Matrixstrukturen bereits in den 1970er-Jahren in international agierenden Großunternehmen eingeführt. Vorbild war ein Projekt des US-Verteidigungsministeriums mit der Luft- und Raumfahrtindustrie in den 1950er-Jahren. Im digitalen Zeitalter gewinnen Matrixstrukturen weiter an Bedeutung. Für Unternehmen wird es einfacher, Arbeitsabläufe jenseits der traditionellen Hierarchiestrukturen zu organisieren und Managementaufgaben zu dezentralisieren.

Das stellt Arbeitsrechtler vor zahlreiche Herausforderungen. Nicht nur betriebsratsfähige Einheiten innerhalb der Matrix zu bestimmen, kann Fragen aufwerfen. Das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sieht vor, dass  Arbeitnehmer konzernintern höchstens 18 Monate überlassen werden dürfen. Dadurch wird auch die Abgrenzung von einer Beschäftigung in der Matrixstruktur relevant.

Einheitliche Leitung …

Laut Bundesarbeitsgericht (BAG) ist ein Betrieb eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit seinen Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Ein einheitlicher Leitungsapparat muss die Betriebsmittel steuern, die in der Betriebsstätte vorhanden sind. Diese Definition ist umstritten. Im Zentrum steht die einheitliche Leitung, unter der die Betriebsmittel zusammengefasst werden.

… trotz dezentralisierten Managementaufgaben?

Obwohl in einer Matrixstruktur Managementaufgaben dezentralisiert werden, lässt sich der Betriebsbegriff des BAG in der Regel auch auf diese Strukturen anwenden. Das mag vor allem daran liegen, dass die Richter in Erfurt einen Beurteilungsspielraum anerkennen und die Anforderungen an eine einheitliche Leitung nicht überspannen.

Wichtigster Anhaltspunkt ist die räumliche Gemeinschaft der Arbeitnehmer in einer Arbeitsstätte. Sie ist ein wesentliches Indiz dafür, dass eine betriebsratsfähige Organisationseinheit vorliegt und in der Regel pragmatische Lösungen ermöglicht.

Alternative Organisationsstrukturen durch Tarifvertrag festlegen

Sofern sich eine abgrenzbare Einheit aufgrund der Matrix dennoch nur schwer bestimmen lässt, besteht die Möglichkeit im Rahmen eines Zuordnungstarifvertrages alternative Organisationsstrukturen festzulegen.

§ 3 BetrVG sieht unter anderem vor, Spartenbetriebsräte für einzelne produktions- und geschäftsbezogene Bereiche durch Tarifvertrag zu bilden. Allerdings setzen solche Vereinbarungen eine Einigung mit den Gewerkschaften voraus und führen zu starren Organisationsstrukturen, die nicht ohne weiteres angepasst werden können. Ob dies gewollt ist, muss im Einzelfall bedacht und abgewogen werden.

Managementaufgaben aus dem Ausland wahrnehmen

Matrixstrukturen werden in der Regel in international agierenden Konzernen etabliert. Liegt dann noch eine ausreichende Organisationsstruktur im Sinne des Betriebsverfassungsrechts vor, wenn der Betrieb aus dem Ausland geführt wird? Das wird in der Rechtsprechung und in der juristischen Literatur bejaht.

Entscheidend ist, dass die Geschäftsführung am rechtlichen Sitz des Unternehmens angesiedelt ist – unabhängig davon, ob sich die Personen, die die Geschäftsführung tatsächlich wahrnehmen, im Ausland befinden. Eine inländische Leitung i.S.d. Betriebsverfassungsgesetzes lässt sich immer dann begründen, wenn die Arbeitnehmer bei einer Gesellschaft mit Sitz im Inland angestellt sind.

Das dürfte regelmäßig der Fall sein. Denn grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse verursachen nicht nur einen enormen administrativen Aufwand, sondern werfen auch komplizierte steuer- und sozialrechtliche Fragen auf.

Arbeitnehmer unterliegt Weisungen des inländischen Vertragsarbeitnehmers

Auch wenn der Arbeitnehmer an Führungskräfte im Ausland berichtet, unterliegt er dem disziplinarischen Weisungsrecht des inländischen Vertragsarbeitgebers. Die rechtliche Struktur der Arbeitsvertragsbeziehung geht unter betriebsverfassungsrechtlichen Aspekten im Zweifel der operativen Matrixorganisation vor.

Die Regelung in § 82 Abs. 1 S. 2 ArbGG stützt diese Rechtsauffassung. Sie koppelt

die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts in betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten auf Unternehmensebene an den Sitz der Gesellschaft.

Beschäftigung innerhalb der Matrixorganisation

Bei der Arbeit in einer Matrixstruktur erteilt ein Dritter fachliche Weisungen, nicht der Vertragsarbeitgeber. Anders als bei der Arbeitnehmerüberlassung dient die Arbeit in einer Matrixstruktur regelmäßig den Betriebszwecken beider Unternehmen, nicht nur dem des Entleihers.

Nur bei reinen Personalführungsgesellschaften, die andere Konzernunternehmen geschäftsmäßig mit Personal versorgen, wird  der Betriebszweck des Verleihers gefördert. Bei dieser Konstellation gibt es aber keine typische Matrixstruktur, so dass sich keine Fragen der Abgrenzung stellen.

Verteilung der Personalkosten

Oft lässt sich aus der Verteilung der Personalkosten herleiten, wessen Betriebszwecke mit der Beschäftigung eines Arbeitnehmers gefördert werden. Dass das Unternehmen mit dem fachlichen Weisungsrecht nur die Selbstkosten des Vertragsarbeitgebers trägt, kann Indiz gegen eine erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung sein. Zudem setzt die Arbeitnehmerüberlassung voraus, dass der Leiharbeitnehmer in den Betrieb des Entleihers eingegliedert wird. Das ist in einer Matrixorganisation jedoch nur sehr selten der Fall.

Konzernprivileg und Höchstüberlassungsdauer

Warum ist die Abgrenzung zur Arbeitnehmerüberlassung relevant? Nach dem Konzernprivileg ist die Arbeitnehmerüberlassung innerhalb eines Konzerns erlaubnisfrei, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt oder beschäftigt wird. In den Abgrenzungsfällen kann letzteres häufig nicht ausgeschlossen werden.

Die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung ist zudem seit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nur noch bis zu maximal 18 Monaten zulässig. Ein Überschreiten dieser Höchstüberlassungsdauer ist eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von bis zu 30.000 Euro geahndet werden kann. Zudem droht bestimmten Unternehmen bei Überschreiten der Höchstüberlassungsdauer der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen nach § 21 SchwarzArbG, wenn sie mit einer Geldbuße in Höhe von 2.500 Euro belegt wurden.

Sollte im Einzelfall eine Arbeitnehmerüberlassung bejaht werden, wäre also die Arbeit in der Matrixstruktur stark eingeschränkt. Denn der eigentliche fachliche Vorgesetzte der Konzerngesellschaft könnte den Beschäftigten nach Ablauf von 18 Monaten nicht mehr führen, ohne die vorgenannten Sanktionen zu riskieren.

Digitalisierung bringt Arbeitnehmern und Arbeitgebern mehr Freiheiten

Der grüne Dinosaurier steht im Werbespot des BMAS für mehr Freiheit im digitalen Zeitalter. Im Fokus steht der Arbeitnehmer. Die Digitalisierung bringt jedoch nicht nur für Arbeitnehmer mehr Freiheiten. Sie ermöglicht auch Unternehmen, Arbeitsabläufe weiter zu optimieren und die Unternehmensleitung durch dezentralisierte Entscheidungsbefugnisse in Matrixstrukturen zu entlasten. Die arbeitsrechtlichen Herausforderungen sind nicht zu unterschätzen, doch im Großen und Ganzen sind sie lösbar.

Author

Sarah Greenlee ist Associate bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern