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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entwickelte kürzlich neue Grundsätze, wie Treuerabatte kartellrechtlich zu beurteilen sind. Das eröffnet Unternehmen erweiterte Spielräume für ihre Rabattsysteme.

Mit Treuerabatten belohnt ein Anbieter seine Kunden für ihre Loyalität, z.B., wenn sie alle Waren einer bestimmten Kategorie ausschließlich bei ihm kaufen. Solche Rabatte können ein wertvolles Instrument sein, um Kunden zu binden und die eigenen Verkaufszahlen zu steigern.

Sie können aber auch dazu führen, dass Konkurrenten das Nachsehen haben, wenn Kunden wegen des Treuerabattsystems ein Produkt nur noch bei einem Anbieter beziehen. Deshalb war es nach bisheriger Rechtsprechung marktbeherrschenden Unternehmen „per se“ verboten, Treuerabatte zu gewähren.

Treuerabatte zulässig, wenn Wettbewerb nicht negativ davon betroffen

Diese starre Regelung hat der EuGH in einer wegweisenden Entscheidung aufgehoben: Solche Rabatte sind zulässig, wenn sie keine negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. Andernfalls drohen marktbeherrschenden Unternehmen weiterhin Bußgelder und Schadensersatzklagen.

Was sollten Unternehmen bei ihrer Rabattgestaltung berücksichtigen, falls sie eine starke Position auf einzelnen Märkten haben könnten?

Risikofaktor Marktbeherrschung

 In der Praxis begegnen Unternehmen oft folgendem Problem: Sie können nicht beurteilen, ob sie marktbeherrschend i.S.d. Kartellrechts sind. Für diese Frage ist die Marktabgrenzung von großer Bedeutung.

Im Fokus der Marktabgrenzung steht, inwieweit das Produkt des Unternehmens aus Sicht der Nachfrager durch andere Produkte austauschbar ist. In schwierigeren Fällen lässt sich das erst beantworten, nachdem man die kartellbehördliche Praxis ausgewertet und wettbewerbsökonomische Expertise hinzugezogen hat.

Ein Unternehmen kann eine marktbeherrschende Stellung einnehmen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Auch dann kann das Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung missbrauchen und gegen das Kartellrecht verstoßen. Unwissenheit schützt also nicht vor dem Missbrauchsvorwurf.

Unternehmen, die in bestimmten Märkten oder Produktbereichen stark sind, müssen ihre Marktstellung genau bewerten. Nur so gelingt es ihnen, die kartellrechtlichen Risiken möglichst früh zu identifizieren und ihr Geschäftsmodell daran anzupassen. Oft ist das ohne wirtschaftliche Einbußen möglich.

Teilweise gelingt es den Unternehmen sogar, durch diese Anpassung ihre Profitabilität zu steigern. Denn sie nehmen dies zum Anlass, die etablierten Pricing-Mechanismen neu zu durchdenken.

Die EuGH-Entscheidung zu Treuerabatte 

Im Fall Intel hatte der Prozessoren-Hersteller seinen Abnehmern erhebliche Treurabatte dafür gewährt, dass die Abnehmer zwischen 80 und 100 Prozent ihres Bedarfs exklusiv bei Intel bezogen. Die Europäische Kommission sah darin einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung. Sie verhängte ein Rekordbußgeld von mehr als 1 Milliarde Euro.

Das Gericht der Europäischen Union (EuG) wies Intels Klage gegen das Bußgeld ab. Das Gericht vertrat eine sehr strenge Auffassung und verwies auf seine bisherige Rechtsprechung: Treuerabatte, die ein marktbeherrschendes Unternehmen gewährt, seien per-se missbräuchlich und daher kartellrechtlich unzulässig.

Die tatsächlichen Auswirkungen der Rabatte auf den Wettbewerb näher zu prüfen, erübrigt sich. Intel war damit nicht einverstanden und wandte sich an den EuGH.

Flexiblere Sichtweise: Treuerabatte nicht per se unzulässig

In seinem Urteil hat nun der EuGH dem EuG widersprochen und die Tür zu einer flexibleren Betrachtungsweise aufgestoßen. Demnach seien Treuerabatte nicht per se unzulässig. Es bestehe nur eine Vermutung für ihre negative Wirkung auf den Wettbewerb.

Entscheidend sei, ob im Einzelfall das marktbeherrschende Unternehmen seine Wettbewerber aus dem Markt verdrängen könnte. Das kann das betroffene Unternehmen zudem widerlegen.

Besonders interessante Punkte des EuGH Urteils 

Nach Auffassung des EuGH sei es nicht die Aufgabe des Kartellrechts zu verhindern, dass weniger effiziente Unternehmen aus dem Markt gedrängt werden. Entscheidend sei vielmehr, ob ein Treuerabatt geeignet ist, einen genauso effizienten Wettbewerber zu beeinträchtigen („as efficient competitor„-Test). Dafür müsse der Wettbewerber als Reaktion auf das Rabattsystem des marktbeherrschenden Unternehmens seine Preise soweit senken, dass er nicht mehr rentabel arbeiten kann.

Um die Auswirkungen des Treuerabattsystems zu überprüfen, müssten Kartellbehörden und Gerichte umfassend ökonomische Einwände und Beweise prüfen, die das betroffene Unternehmen zu seiner Verteidigung vorzubringen hat. Das erfordert eine umfassende ökonomische Analyse.

Selbst wenn ein Treuerabatt dazu führt, dass Wettbewerber mit vergleichbarer Effizienz aus dem Markt gedrängt werden, könne das Preissystem im Einzelfall durch Effizienzvorteile zugunsten der Verbraucher gerechtfertigt sein.

Der EuGH verwies die Sache an das EuG zurück. Dieses soll Intels ökonomische Einwände umfassend würdigen und dabei die Vorgaben des EuGH berücksichtigen.

Die Relevanz des Urteils geht jedoch weit über den Einzelfall von Intel hinaus. Das Urteil rückt den „as efficient competitor„-Test und die tatsächlichen Auswirkungen der Rabattsysteme auf den Wettbewerb in den Vordergrund.

In Zukunft wird die Beurteilung des Rabattsystems eines marktbeherrschenden Unternehmens davon abhängen, ob es sich dazu eignet, ähnlich effiziente Wettbewerber aus dem Markt zu drängen. Hierfür werden neben einer ökonomischen Analyse auch qualitative Kriterien relevant sein, z.B. die Bedingungen, die Dauer und die Höhe der Rabatte.

Perspektiven für Unternehmen 

Unternehmen haben nun eine realistische Chance, ausgewogene und gut durchdachte Treuerabattsysteme zu verwenden und diese bei Bedarf gegenüber den Kartellbehörden und Gerichten zu verteidigen. Künftig wird eine detaillierte ökonomische Analyse des Einzelfalls einen hohen Stellenwert einnehmen. Den Unternehmen eröffnet das neue Chancen, ihren Vertrieb effektiv zu organisieren.

Marktbeherrschende Unternehmen tragen jedoch nach wie vor das kartellrechtliche Risiko, ob ihre Rabattsysteme zulässig sind. Sie müssen Beweismittel vorbringen, dass ihr gewährter Treuerabatt tatsächlich nicht dazu führt, dass Wettbewerber aus dem Markt gedrängt werden.

Mit der Einzelfallanalyse von Treuerabatten entsteht für sie ein Unsicherheitsfaktor: Nicht immer lässt sich im Vorfeld prognostizieren, wie das Ergebnis der umfassenden Wertungsentscheidung aussehen wird, die der EuGH verlangt. Vor allem erfordert der „as efficient competitor„-Test komplexe ökonomische Erwägungen.

Die Herausforderung für die Unternehmen liegt darin, die neuen Freiheiten, die ihnen die Intel-Rechtsprechung bei Treuerabatten bietet, in Wettbewerbsvorteile umzumünzen − ohne das eigene Blatt zu überreizen und gegen das Kartellrecht zu verstoßen.

Author

Johannes Weichbrodt ist Partner bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Author

Eugen Wingerter ist Associate bei Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern